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Waldmeister Berlin – Die multitalentierten Bäume der Hauptstadt

„Hot town, summer in the city
Back of my neck getting dirty and gritty
Been down, isn’t it a pity
Doesn’t seem to be a shadow in the city
All around, people looking half dead
Walking on the sidewalk, hotter than a match head…“

So besangen 1966 The Lovin‘ Spoonful den von der Sommersonne befeuerten Glutofen Stadt. Das New Yorker Quartett fand seine Zuflucht damals in der Nacht, wenn sich der erhitzte Asphalt langsam abkühlt und einzig auf den Tanzflächen der Clubs noch das Feuer lodert.

In Berlin ergeben sich auch schon tagsüber Erfrischungsmöglichkeiten. Denn Berlin ist nicht nur ein Großstadtdschungel. Berlin hat auch einen: Ein Fünftel der Stadt ist mit Wald bedeckt. Zusammen mit seinen Beständen im Umland verfügt Berlin über insgesamt knapp 30.000 Hektar. Das ist eine Größenordnung, die in Europa ihresgleichen sucht.

Der berühmte Berliner Grunewald, "Waldgebiet des Jahres 2015" (Quelle: BDF)

Der berühmte Berliner Grunewald, „Waldgebiet des Jahres 2015
(Quelle: BDF)

Und dieser Wald, er wirkt wie ein riesiger Kühlakku. Mittels Verdunstung, Strahlungsaufnahme und Beschattung. Was längst nicht alles ist: Dank ihrer Reinigungs- und Speicherfähigkeiten kommen rund 80 Prozent des städtischen Trinkwassers aus Berlins Wäldern. Wie Dunstabzugshauben säubern überdies ihre Blätter und Nadeln den Großstadtmief – weswegen Waldluft zum Beispiel bis zu 15 Mal weniger Bakterien enthält als ihr City-Pendant.

In Zeiten von Urbanisierung und Klimawandel geraten derartige, in der Fachwelt oft als „Ökosystemdienstleistungen“ bezeichnete Talente sogar zu einer Gretchenfrage. Längst gelten nicht nur Arbeitsplätze, Kulturangebot oder Wohnraum als Standortvorteile von Städten, sondern auch Grünflächen und Wälder. Nicht zuletzt, weil sie neben ihres eher unsichtbaren Könnens eben auch eine Menge offensichtlicher Lebensqualität bieten: Allein in Berlin verzeichnet der Wald 250 Millionen Besuche pro Jahr, von Spaziergängern, Radfahrern und Naturfreunden.

Das ist eine Menge. Dennoch finden sich abseits der Hot Spots noch immer stille und geheimnisvolle Flecken. Man muss sich nur auf die Suche machen. Erste Hinweise hierzu finden sich im kürzlich erschienen Sonderheft des tip „Sommer in Berlin“, für das ich an einem Feature zum Thema Berliner Wald mitarbeiten durfte. Gibt’s an Kiosken, in Bahnhöfen oder online zu bestellen. Ansonsten finden sich eine Menge Tourenvorschläge auch hier bei den Berliner Forsten.

Insofern: Statt gerösteter Gehirne und durchgebrannter Sicherungen lieber ab in den Wald! Dahin, wo der „shadow“ ist…

Unsere große Farm – Urbane Landwirtschaft in Berlin

Das Schicksal der Welt entscheide sich in den Städten, so notierte es Fernand Braudel einmal sinngemäß. Was der französische Historiker noch auf den sozialen Alltag im 15. bis 18. Jahrhundert bezog, erscheint heute aktueller denn je: Den UN zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der wachsenden Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, andere Schätzungen taxieren den Anteil sogar auf 80 Prozent.

Die damit verbundenen Herausforderungen sind gewaltig. In der Diskussion, wie Städte sie sinnvoll bewältigen könnten, hat sich etwas herauskristallisiert, das vor wenigen Jahren noch als Domäne der Klein- und Schrebergärtner galt: Die urbane Landwirtschaft. Ihre real existierenden Erscheinungsformen – von der nahezu autarken Gemüseversorgung Havannas über die hektargroßen Gewächshäuser auf New Yorks Dächern bis zu den kooperativen Farmen São Paulos oder Pekings – verschmelzen dabei mit Zukunftsvisionen von Hochhäusern, die als vertikale Farmen neben vegetarischer Kost auch Hühner oder Fisch züchten, zu einem verheißungsvollen Bild: Lebensmittelproduktion in der Stadt könnte Transportwege minimieren, Ernährungssouveränität herstellen sowie ökonomische Werte und Arbeitsplätze schaffen, zudem Blaupause für Stoffkreisläufe sein, die städtische Biodiversität fördern, den Klima- und Wasserhaushalt verbessern und sozialen Gemeinsinn stiften. „Urban Farming“, die eierlegende Wollmilchsau der Nachhaltigkeit?

Hoch(haus)landrinder: Tierhaltung in Marzahn
(Quelle: Agrarbörse Deutschland Ost e.V.)

Berlin ist nicht der schlechteste Ort, um diese Frage zu ergründen – ist die Stadt doch einem für hiesige Verhältnisse rasantem Bevölkerungswachstum unterworfen und zugleich der deutsche Hot Spot, was das städtische Gärtnern moderner Prägung angeht.

Daher habe ich mich hier mal zum Thema umgetan, und herausgekommen ist die aktuelle Titelgeschichte des tip, die neben einer kleinen Bestandsanalyse auch diverse Akteure des Urban Farming Berliner Prägung beleuchtet (Update 8.9.14: einige der Geschichten sind jetzt auch online zu finden). Mit dabei: Die Schafherde der Agrarbörse, der kommende Aquaponik-Bauernhof von ECF Farmsystems, diverse Indoor- und Vertical-Farming-Konzepte und natürlich der Prinzessinnengarten, der nach fünf Jahren eine Art Zwischenbilanz zieht.  Alles sehr aufregend, wie ich ganz unbescheiden finde…

„Wir sind eine Art Sozialstation“ – Das Core Tex wird 25

„25 years of dedication“ – die Kreuzberger Institution Core Tex Records, Home of Hardcore and Punk, feiert Jubiläum. Eine reife Leistung, wenn man bedenkt, dass die vergangenen Jahre mit ihren mannigfaltigen Umwälzungen im Musikgeschäft für klassische Plattenläden recht turbulent, oft sogar tödlich waren.

Insofern ist David Strempel, einer der drei Betreiber des Core Tex, nicht zu unrecht stolz darauf, es so lange geschafft zu haben, wie ich im Rahmen eines Interviews mit ihm für die aktuelle Ausgabe des tip erfuhr. Die Gründe für das verblüffende Stehvermögen: Nischenprodukte und eigene T-Shirtlinien, die Renaissance von Vinyl sowie nicht zuletzt der „ganz spezielle Kiez“ von Kreuzberg 36. „Wir sind nach wie vor so eine Art Sozialstation“, sagt Strempel, „ein Platz zum Abhängen, wo die Leute aus der Gegend ihr Feierabendbier trinken und sich ihre Lieblingsplatte wünschen können.“

Insofern ist es nur folgerichtig, dass das Core Tex an kommenden Freitag und Samstag seinen 25. Geburtstag in und mit jenem Kiez feiert. Im nur einen Steinwurf entfernten SO 36 gibt es, natürlich, tüchtig Hardcore und Punk auf die Ohren, mit Buddies wie den Troopers, Final Prayer oder den extra und nur für dieses Event reformierten Disrespect. Zudem spielen internationale Legenden wie die ebenfalls wieder vereinigten Judge aus New York auf. Glücklich, wer da noch ein Ticket ergattern konnte.

Alle, die leer ausgingen, haken sich gefälligst unter und singen Sham69s „If the kids are united“. Let’s go!

Ein Herz für krumme Knollen – Die Culinary Misfits

Sie sieht aus wie ein aus der Form geratenes Herz. Noch ist sie eingehüllt in den Staub der Erde, in deren Schoß sie gewachsen ist. Schälte man sie aber, sie würde herrlich gelbes Fruchtfleisch entblößen, ganz so wie die meisten anderen ihrer Art auch. Trotzdem ist sie in den Auslagen der Supermärkte eine Rarität. „Eine Kartoffel wie diese passt einfach nicht in die Norm“, sagt Lea Brumsack. Zusammen mit ihrer Freundin Tanja Krakowski hat sie daher in Neukölln ein Startup namens Culinary Misfits gegründet. Kulinarische Außenseiter, so könnte man das übersetzen. Im Wesentlichen verbirgt sich dahinter ein Cateringservice, mit dem die beiden Frauen sich des von Bauern und Händlern verstoßenen Obst und Gemüses annehmen. „Es geht uns darum, die vermeintlich hässlichen Entlein auf die Bühne zu holen und ihre verborgene Schönheit hervorzuheben“, sagt Krakowski.

Eine recht ehrenwerte Idee ist das, und da die Rezepte obendrein sehr lecker klingen und hübsch verpackt sind, stoßen die Misfits bereits auf einiges Interesse. Unter anderem auf meins, weswegen ich für die tip-Edition „Sommer in Berlin“ dazu auch eine Geschichte machen durfte. Gibt’s jetzt am Kiosk, andere interessante Dinge inklusive.

Die Misfits suchen übrigens gegen Belohnung noch einen Laden als dauerhaftes Domizil. Ansonsten gibt es hier bei Bedarf noch ein paar weiterführende Links sowie einen Filmtrailer zum Thema Lebensmittel und unser Umgang mit ihnen: Slow FoodDie EssensvernichterZu gut für die Tonne.

„Nötig ist eine Entzerrung der Verkehrswege“ – Interview zum Berliner Radverkehr

Berlin wird Radstadt. Zumindest der Statistik nach: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Anteil der Wege, der hier mit dem Fahrrad zurückgelegt wird, verdoppelt, von sieben auf knapp 15 Prozent. Mit der jüngst aktualisierten Radverkehrsstrategie möchte der Senat diesen Anteil nun weiter ausbauen. In dem Papier ist von hindernisfreien und regelmäßig instand gesetzten Radwegen, „fahrradfreundlichen Zentren“, dem „Masterplan Fahrradparken“ und allerlei anderen Maßnahmen die Rede.

Das ist grundsätzlich sehr lobens- und wünschenswert, zugleich für eine Metropole, zumal eine klamme wie Berlin, aber auch mächtig viel Holz. Denn obschon sich bereits einiges in der Stadt getan hat – für eine wirklich fahrradfreundliches Berlin braucht es, wenn ernst gemeint, ein integriertes Konzept über die Bezirksgrenzen hinweg. Das jedenfalls habe ich vom Verkehrspsychologen Peter Kiegeland erfahren. Er plädiert für eine Entzerrung aller städtischen Verkehrswege, möglichst einheitlich und unkompliziert gestaltet. Keine leichte Aufgabe, wie er zugibt, aber zumindest als Leitziel unabdingbar.

Herr Kiegeland wusste auch einiges andere über die Renaissance des Fahrrads im Allgemeinen, Konflikte im Straßenverkehr und „leuchtende“ Radfahrer zu erzählen. Wer darüber mehr wissen will, kann das im aktuellen tip nachlesen oder hier auch online. Na denn, allseits gute Fahrt wünsch ich!