Im November 2017 trat Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan vor die Presse und sagte:
„Es ist wichtig, in Parks und Grünanlagen richtige Natur zu erleben, nicht nur den kurz gemähten englischen Rasen.“
Und weiter:
„Wir wollen zeigen, dass naturbelassene Bereiche auch in gepflegte Parks passen und spannende Naturerlebnisse bieten.“
Anlass dieser Sätze war die Vorstellung von „Natürlich Hamburg!“, dem ersten Naturschutzgroßprojekt in einer deutschen Großstadt. Mit Unterstützung des Bundesamts für Naturschutz will die Hansestadt in den kommenden Jahren mehr Wildnis auf ihren Grünflächen zulassen und ihre Naturschutzgebiete aufwerten. Mehr noch: Das Projekt soll, wie von Kerstan angedeutet, die Frage bearbeiten, wie Großstädte und ihre Bewohner prinzipiell Stadtgrün begreifen und was nötig ist, um sie naturnäher zu gestalten.
Das ist nicht unerheblich. So tummeln sich in Städten auf relativ kleiner Fläche zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Sie werden angezogen vom Strukturreichtum und den damit einhergehenden Nischen, nicht zuletzt, weil diese im zunehmend ausgeräumten Umland immer seltener werden. Auch menschliche Stadtbewohner profitieren von einer vitalen und artenreichen Stadtnatur – hilft sie doch bei Luftreinigung und Wasseraufbereitung, puffert sie Temperaturspitzen ab, fördert sie Gesundheit und Erholung und ist obendrein ein sozialer Begegnungsort (s. dazu die Metastudie von Naturkapital Deutschland).
Folgerichtig gerät Stadtnatur immer mehr in den Blick, wenn es darum geht, Herausforderungen wie das Artensterben, die Urbanisierung und die Klimakrise zu meistern. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht: Immer mehr Brachen und verwilderte Baulücken verschwinden infolge der sogenannten „Inneren Verdichtung“. Zwar mag dadurch eine weitere Zersiedelung des Umlands zumindest gedämpft werden. Innerstädisch droht jedoch eine Verödung.
Vor diesem Hintergrund lässt sich „Natürlich Hamburg!“ also nicht nur als naturschutz-, sondern auch stadtpolitisches Projekt mit Pilotcharakter begreifen, indem es zu beantworten sucht, wie Biodiversität in Städten erhalten sowie langfristig ausgebaut werden kann. Das meint nicht nur Strategien in Stadt- und Freiraumplanung, sondern auch die konkrete Gestaltung sowie das Management öffentlicher Park- und Grünanlagen. Denn gegenwärtig bestehe noch zu häufig ein „Dissens zwischen arten- und biotopschutzorientiertem Naturschutz auf der einen Seite und traditioneller Grünflächenpflege auf der anderen Seite“, so das BfN. Das Projekt solle sich daher nicht zuletzt der Frage widmen, wie dieser Konflikt aufzulösen sowie ganz grundsätzlich eine „gleichberechtigte Integration der Belange des Naturschutzes in die städtebauliche Entwicklung“ sicherzustellen sei.
Bis 2031 hat „Natürlich Hamburg!“ Zeit, entsprechende Antworten zu liefern. Derzeit läuft die Planung, die ab 2022 sukzessive umgesetzt werden soll – an insgesamt 40 Standorten mit einer Gesamtfläche von 6.200 Hektar, zuzüglich vier großer Ausfallstraßen (eine entsprechende Karte findet sich hier). Derzeit sind u.a. folgende Maßnahmen vorgesehen:
- Anlegen von artenreichen Blumenwiesen
- Förderung von Wildstauden
- Sicherung von Altbäumen und Totholz
- naturnahes Straßenbegleitgrün
- Renaturierungen und Sanierungen
- ökologische Aufwertung und besucherfreundliche Gestaltung von Naturschutzgebieten
Weil ich all das sehr spannend finde, habe ich mich kürzlich anlässlich eines Seminars an der Berufsschule 06 Hamburg eingehender mit „Natürlich Hamburg!“ beschäftigt. Dabei ging es neben den Grundzügen des Vorhabens sowie der geplanten Umsetzung auch um eine Einordnung mithilfe unabhängiger Expertenstimmen aus Naturschutz sowie Garten- und Landschaftsbau. Wen es interessiert: Die dabei entstandene Vortragspräsentation findet sich nun hier als PDF.