Die schwierige Rückkehr der Waldkönige – Das Wisent-Auswilderungsprojekt im Rothaargebirge

Mächtige Hirschtrophäen zieren das Foyer von Schloss Berleburg. An den Wänden zeigen historische Stiche Szenen einer Hasen- und Sauenhatz, eine Ahnengalerie präsentiert gewichtige Persönlichkeiten. Der Bau im Renaissancestil ist Stamm- und Wohnsitz der Familie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, einem Adelsgeschlecht, dessen Wurzeln bis in das 12. Jahrhundert zurück reichen. Einer der Hausherren, Prinz Gustav, sitzt Anfang Mai mit schwarzer Daunenweste und schweren Bergstiefeln vor Pressevertretern auf einem Podium im Schlossfoyer und sagt, es sei „ein spannendes Jahr“ gewesen. Er redet nicht von der Jagd auf Hasen, Wildschweine oder Hirsche. Prinz Gustav redet von den Wisenten, die erstmals seit Jahrhunderten wieder durch einen westeuropäischen Wald ziehen.

Rückblende: Es ist der 11. April 2013, als sich für Abdia, Abtisa, Araneta, Dareli, Daviedi, die Queen vom Rothaarsteig sowie Egnar und Quandor die Tore zur Freiheit öffnen. Knapp drei Jahre haben die sechs Kühe und die zwei Bullen in einem Auswilderungsgehege nördlich der Kleinstadt Bad Berleburg gelebt. Nun soll die Herde in den umliegenden Wäldern des Rothaargebirges tun und lassen dürfen, was ihnen gefällt. Mehr oder weniger jedenfalls.

Die ausgewilderte Wisent-Herde im Rothaargebirge

Die Idee dazu hatte Prinz Richard, der Vater von Gustav und das Oberhaupt der zu Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. Die Familie betreibt in der Region die größte private Forstwirtschaft Nordrhein-Westfalens, insgesamt 13.000 Hektar Wald, in dem vor allem Fichten und Buchen wachsen. Hier brüten seltene Vögel wie Schwarzstorch oder Raufußkauz, und im Jahr 2003 kam Prinz Richard dann auf den Gedanken, einen Teil seines Forsts auch den Wisenten zur Verfügung zu stellen. Immerhin seien die Riesen, so erklärte er es einmal in einem Interview, „wunderbare, faszinierende Tiere“, die obendrein in die örtliche Landschaft gehörten.

Tatsächlich lag Deutschland einst mittendrin im Wisent-Populationsgebiet. Bison bonasus, so der wissenschaftliche Name des massigen Wildrinds, war als „König der Wälder“ ursprünglich in drei Unterarten von Frankreich und Spanien bis zur Wolga sowie dem Kaukasus verbreitet. Forst- und Landwirtschaft sowie Jagd und Wilderei dezimierten den Bestand jedoch immer mehr, bis 1927 im Kaukasus der letzte freilebende Wisent geschossen wurde.

Das Aussterben der Art konnte trotzdem abgewendet werden, wenn auch nur um Haaresbreite: In Tiergärten existierten Anfang der Zwanziger noch 54 Exemplare, so dass engagierte Biologen und Zoodirektoren ein aufwändiges Zuchtprogramm auflegten. 1952 konnten die ersten Wisente wieder ausgewildert werden, im Urwald von Białowieża an der polnisch-weißrussischen Grenze, ähnliche Projekte in der Ukraine, Russland, der Slowakei und Litauen folgten.

Trittsiegel eines Wisents

Heute gibt es weltweit wieder mehr als 5000 der massigen Rinder. Knapp zwei Drittel davon entfallen auf die freien Populationen Osteuropas, und wie dort sollen die Wisente auch in mittel- und westeuropäischen Wäldern abermals heimisch werden – zumindest wenn es nach den zu Sayn-Wittgenstein-Berleburgs und ihren Mitstreitern geht. Johannes Röhl, der als Forstdirektor die Geschäfte im fürstlichen Wald führt, sagt beim Pressetermin auf Schloss Berleburg, Hauptziel aller Beteiligten sei es, „dabei behilflich zu sein, dem Wisent in einem Freilandprojekt beim Überleben zu helfen“. Denn trotz aller Nachzuchterfolge stehe die Art noch immer vor einer „genetischen Katastrophe“.

Was Röhl meint, ist der Umstand, dass die Anfang der Zwanziger Jahre verbliebenen Wisente von lediglich zwölf Gründertieren abstammten. Auch heute noch resultiert daraus eine hohe Inzuchtgefahr sowie die Anfälligkeit für Krankheiten. Jedes Individuum ist daher im Internationalen Wisent-Zuchtbuch registriert, um die Rekombination von geeigneten Elterntieren koordinieren zu können und so den globalen Bestand weiter wachsen zu lassen.

Diese Strategie ist freilich darauf angewiesen, bestehende Herden zu erweitern und neue zu entwickeln – wie jetzt im Rothaargebirge. Schon vor dem Auswilderungsprojekt galt Deutschland als wichtige „Wisentnation“, mit mehr als 500 Tieren in Zoos oder großen Freigehegen wie der Döberitzer Heide. Um sie nun auch in freier Wildbahn wieder ansiedeln zu können, sagt Forstdirektor Röhl, brauche es keine Urwälder wie in Osteuropa. „Uns geht es darum, Mut zu machen und zu zeigen, so ein Projekt geht auch im Wirtschaftswald.“

Die Herde der „Wisent-Wildnis“ bei Bad Berleburg

Das sehen nicht alle so. Zwar sind Kreis- und Landespolitik mit im Boot, nicht zuletzt aus Gründen des Regionalmarketings, auch das Bundesamt für Naturschutz begleitet das Projekt. Waldbesitzer im benachbarten Hochsauerlandkreis jedoch klagen seit der Freilassung der Wisente über Schälschäden an ihren Bäumen – und sind jetzt vor Gericht gezogen, um zu verhindern, dass sich die Riesen weiterhin an der Rinde ihrer Buchen gütlich tun.

Noch ein wenig ausführlicher nachzulesen ist das alles in der aktuellen Ausgabe des naturgucker Magazins, für die ich die Auswilderung der Wisente im Rothaargebirge samt ihrer Schwierigkeiten etwas ausführlicher beschrieben habe (eine Vorschau auf das Heft gibt es hier). Es ist eine Geschichte über den grundsätzlichen Konflikt, Wildnis und Zivilisation unter den gegebenen Umständen in Einklang zu bringen. Mit offenem Ausgang.

Unsere große Farm – Urbane Landwirtschaft in Berlin

Das Schicksal der Welt entscheide sich in den Städten, so notierte es Fernand Braudel einmal sinngemäß. Was der französische Historiker noch auf den sozialen Alltag im 15. bis 18. Jahrhundert bezog, erscheint heute aktueller denn je: Den UN zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der wachsenden Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, andere Schätzungen taxieren den Anteil sogar auf 80 Prozent.

Die damit verbundenen Herausforderungen sind gewaltig. In der Diskussion, wie Städte sie sinnvoll bewältigen könnten, hat sich etwas herauskristallisiert, das vor wenigen Jahren noch als Domäne der Klein- und Schrebergärtner galt: Die urbane Landwirtschaft. Ihre real existierenden Erscheinungsformen – von der nahezu autarken Gemüseversorgung Havannas über die hektargroßen Gewächshäuser auf New Yorks Dächern bis zu den kooperativen Farmen São Paulos oder Pekings – verschmelzen dabei mit Zukunftsvisionen von Hochhäusern, die als vertikale Farmen neben vegetarischer Kost auch Hühner oder Fisch züchten, zu einem verheißungsvollen Bild: Lebensmittelproduktion in der Stadt könnte Transportwege minimieren, Ernährungssouveränität herstellen sowie ökonomische Werte und Arbeitsplätze schaffen, zudem Blaupause für Stoffkreisläufe sein, die städtische Biodiversität fördern, den Klima- und Wasserhaushalt verbessern und sozialen Gemeinsinn stiften. „Urban Farming“, die eierlegende Wollmilchsau der Nachhaltigkeit?

Hoch(haus)landrinder: Tierhaltung in Marzahn
(Quelle: Agrarbörse Deutschland Ost e.V.)

Berlin ist nicht der schlechteste Ort, um diese Frage zu ergründen – ist die Stadt doch einem für hiesige Verhältnisse rasantem Bevölkerungswachstum unterworfen und zugleich der deutsche Hot Spot, was das städtische Gärtnern moderner Prägung angeht.

Daher habe ich mich hier mal zum Thema umgetan, und herausgekommen ist die aktuelle Titelgeschichte des tip, die neben einer kleinen Bestandsanalyse auch diverse Akteure des Urban Farming Berliner Prägung beleuchtet (Update 8.9.14: einige der Geschichten sind jetzt auch online zu finden). Mit dabei: Die Schafherde der Agrarbörse, der kommende Aquaponik-Bauernhof von ECF Farmsystems, diverse Indoor- und Vertical-Farming-Konzepte und natürlich der Prinzessinnengarten, der nach fünf Jahren eine Art Zwischenbilanz zieht.  Alles sehr aufregend, wie ich ganz unbescheiden finde…

Ich wachs Dich fertig – Konkurrenzkampf unter Pflanzen

„Homo homini lupus est“ postulierte einst Thomas Hobbes – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Doch auch im so harmonisch anmutenden Planzenreich herrscht das Prinzip der Ellbogengesellschaft.

Da wäre etwa der Walnussbaum: 1,4,5-Trihydroxynaphthyl-4-glucosid heißt das Mittelchen, das in seinen Blättern und Fruchtschalen eingelagert ist. Fallen die irgendwann zu Boden, entsteht aus der  Chemikalie Juglon. Und der vergiftet mal kurzerhand Keimlinge, auf dass der Walnuss keine aufmüpfigen Nachbarn erwachsen.

Zweites Beispiel: Buche gegen Birke. Über Jahrzehnte hilft die robuste Birke der feinfühligeren Buche, sich auch unwirtliche Standorte zu erschließen. Ihr Laub wird auf karger Erde zu fruchtbarem Humus, ihre Wurzeln vermeiden Erosion, und ihr lockeres Blätterdach reguliert im Sommer die Sonneneinstrahlung, während das Geäst, an dem es hängt, im Winter die Bodenwärme zurückwirft. Und dennoch ist ein friedliches Nebeneinander beider Bäume auf Dauer die Ausnahme: Birken werden nur rund 120 Jahre alt. In dieser Zeitspanne sind die behüteten Buchenschösslinge groß genug geworden, um das Kommando zu übernehmen. Nun beschatten ihre dichten Baumkronen den Waldboden, was den Nachkommen der sehr lichtbedürftigen Birke kaum Chancen lässt. Undank ist eben der Welten Lohn!

Für weiteres Anschauungsmaterial empfehle ich einen Blick in die neue Ausgabe von WALD, für deren Infografik ich da noch ein büschen mehr aufgeschrieben habe. Es geht dabei neben der Robinie auch um die von den Galliern so geschätzte Mistel. Fieses Ding, das, kann ich Euch sajen. Naja, abgesehen von ihrer Heilwirkung und der Sache mit dem Knutschen natürlich…

Schillerndes für die Seele – Streuobstwiesen im Raum Lüneburg

Goldparmäne. Geflammter Kardinal. Edelborsdorfer. Solcherlei schillernde Namen sind untrennbar verbunden mit knorrigen Baumstämmen, die zum Beispiel entlang der Landstraßen in der Elbtalaue ihre Äste gen Himmel verdrehen. Die alten Obstalleen der Region in Niedersachsen sind Zeugnis einer Kulturlandschaft, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht: Damals begannen die Bauern – gebeutelt von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs – damit, Wegsäume, Ortsränder und Hofstellen mit Obstbäumen zu bepflanzen. Trotz knapper Ackerflächen sicherten sie so nicht nur die Versorgung mit frischen Früchten, sondern konnten auch den rauen Winden des Nordens trotzen. Einen Teil der Ernte verkauften sie später an Handelsschiffe, die die Ware nach Hamburg oder Berlin lieferten. Ein hübscher Nebenverdienst für viele.

Die Bedeutung der Alleen hier und anderswo in Deutschland ist jedoch nicht allein eine historische: Umweltverbände wie der NABU qualifizieren sie sowie Streuobstwiesen als „Hot Spots der Biodiversität in West- und Mitteleuropa“. Mit insgesamt rund 6.000 bekannten Sorten wie Goldparmäne & Co. beherbergen sie ein wichtiges Genreservoir für die Zukunft des Obstanbaus, zudem ziehen sie unzählige Tiere und Pflanzen an.

Ausschlaggebend hierfür ist der Mensch: Er ist es, der die Alleen und Wiesen anlegt, in lockeren und gemischten Beständen von bis zu 120 Bäumen pro Hektar. Er ist es, der sie veredelt und pflegt, mittels vegetativer Zucht und Astbeschnitt. Und er beschützt sie, indem er sie als Viehweide oder zur Heumahd nutzt und so verhindert, dass sich konkurrierende Sträucher und andere Gehölze breit machen.

Die daraus entstehenden „Savannen“, in denen lichter Wald mit Blumen- und Kräuterwiesen wechselt, sind Lebensraum für etwa 5000 Tier- und Pflanzenarten.

Alte Obstbaumallee bei Bitter
(Quelle: Olaf Anderßon/Lüneburger Streuobstwiesenverein)

Ihre Zukunft ist allerdings ungewiss. Längst haben profitablere Plantagen den Löwenanteil der Obstproduktion für den Massenmarkt übernommen, auch hierzulande – in Monokulturen von 3000 Stück pro Hektar, gepäppelt mit hohem Düngereinsatz sowie mit Pestiziden vor Krankheiten und Unterwuchs geschützt.

Immerhin: Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland noch Bestände von 300.000 bis 500.000 Hektar. Zum Beispiel eben in der Elbtalaue sowie im Lüneburger Raum. Hier arbeiten zahlreiche Menschen in Vereinen, beim Landkreis sowie in Unternehmen daran, die überlieferten Standorte alter Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Zwetschgensorte sowie das Wissen darüber lebendig zu halten.

Wie das genau funktionieren soll und inwiefern es sich für die Menschen im sprichwörtlichen Sinne bezahlt machen könnte, habe ich vor Ort ergründet und für die neue Sonderbeilage „Was zählt“ der Lüneburger Landeszeitung aufgeschrieben. Das gute Stück gibt es auch online, zusammen mit einer Reihe von weiteren Texten, etwa darüber, warum einige Lüneburger ihre Zeit verschenken oder das Reparieren von Elektrogeräten lernen und wie sich Stadt und Wirtschaft auf das Thema Peak Oil vorbereiten. Wohl bekomm’s…

Das Ziehharmonika-Prinzip – Überschwemmungsökologie an der Elbe

Gebrochene Deiche und überflutete Ortschaften, zerstörte Straßen und verwüstete Bahntrassen – wenn Flüsse über ihre Ufer treten, bedeutet das für die Betroffenen oft nichts Gutes. So wie im vergangenen Juni: Hunderttausende Menschen kämpften hierzulande an Donau, Elbe oder Mulde mit einem „Jahrhunderthochwasser“, Schätzungen zufolge gingen die Schäden in den zweistelligen Milliardenbereich. Eine Katastrophe von historischen Ausmaßen.

Inwiefern gilt dies auch für die Tier- und Pflanzenwelt? Werden Flora und Fauna bei extremen Überschwemmungen einfach fortgespült oder können sie mit solchen Ereignissen umgehen? Und wie verändern die Wassermassen die umliegenden Ökosysteme insgesamt?

Am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) beschäftigen sich Ökologen seit längerem mit diesen Fragen. Beispielsweise führten die Forscher infolge des Elbehochwassers 2002 Studien zu Vegetation, Schnecken und Laufkäfern durch. Die Hypothese war naheliegend: Eine starke Überflutung in einer sonst weitgehend trockenen Jahreszeit dürfte Pflanzen und Weichtiere aufgrund ihrer eingeschränkten Beweglichkeit stärker beeinträchtigen als die mobileren Käfer.

Hochwasser an der Elbe bei Rosslau, Juni 2013
(Quelle: Künzelmann / UFZ)

Umso überraschender gestalteten sich die Ergebnisse. So blieb etwa die Vegetation in Artenzahl und -zusammensetzung weitgehend stabil. Alles eine Frage der Überlebensstrategie: Einige Pflanzenarten haben sich an das Leben mit außerplanmäßigen Fluten angepasst, indem sie Unterwasserblätter ausbilden. Andere wiederum haben zuvor schon so viel Samen im Boden eingelagert, dass sie trocken gefallene Standorte als Pionierarten neu besiedeln können.

Im Fall der Schnecken fanden die Forscher in den Elbauen unmittelbar nach der Flut sogar 13 neue Arten – ein Anstieg zu den Vorjahren um mehr als ein Drittel. Verantwortlich hierfür war insbesondere der Eintrag von Wasserschnecken. Doch auch die an Land lebenden Spezies kamen gut mit den Überschwemmungen zurecht, etwa die seltene Ufer-Laubschnecke. Denn ahnlich wie Ameisen flüchten Schnecken bei Hochwasser an der Vegetation senkrecht in die Höhe, oder sie werden mit Treibgut in andere Lebensräume verdriftet.

Die Laufkäfer erwischte es dagegen auf dem falschen Fuß. Zwar können die meisten auenspezifischen Käfer schwimmen. Im August 2002 befanden sich jedoch eine Reihe von ihnen im Larven- oder Verpuppungsstadium. Ausgerechnet von den wasserliebenden Arten gingen so über 40 Prozent verloren, insgesamt verschwand rund jede vierte Spezies.

Allerdings sind Laufkäfer in der Lage, frühzeitig Pionierstandorte zu besiedeln und sich dann explosionsartig zu vermehren. Auf Dauer ist deshalb selbst nach starken Überschwemmungen eine Art „Ziehharmonikaprinzip“ zu verzeichnen. Soll heißen: Über kurz oder lang kehren die betroffenen Ökosysteme wieder weitgehend in ihren Ausgangszustand zurück.

Bei Dessau weitgehend verschwunden: Der Ameisenbläuling
(Quelle: Künzelmann/UFZ)

Problematisch wird es jedoch, wenn eine Art nur noch über Restbestände verfügt, etwa in Folge von Eindeichungen oder intensiver Landnutzung. Seit dem Hochwasser 2002 sind beispielsweise die Falter des Ameisenbläulings aus den Wiesen bei Dessau nahezu verschwunden, weil seine Ausgangspopulation zuvor schon so klein war.

Unklar ist zudem bislang, welche Auswirkungen mehrere untypische Überschwemmungen hintereinander haben, weswegen am UFZ derzeit weitere Studien zum Thema laaufen.

Für die aktuelle Ausgabe des naturgucker Magazins habe ich all das ein wenig ausführlicher aufgeschrieben. Unter anderem steht dort, wie die heimische Vogelwelt auf starke Überflutungen reagiert. Soviel sei hier schon verraten: Einige profitieren, andere nicht. Welche das sind, kann man dieser Tage ja selbst am Kiosk nachlesen, hehe…

Silberhörner über den Auen – Die Singschwäne im Odertal

Da fliegen sie. Auf großen Schwingen, den Hals weit nach vorn gereckt, bis auf den markanten gelbschwarzen Schnabel ganz in weiß. Lautlos ziehen sie dahin, fast so wie die kleinen Wolken am blauen Himmel: Singschwäne.

Wer Glück hat, kann diese Szenerie derzeit noch im Unteren Odertal erleben. Der Nationalpark im Nordosten Brandenburgs gleich an der Grenze zu Polen ist eines der deutschlandweit größten Überwinterungsgebiete der Schwäne. Ab Oktober sammeln sich etwa 1000 bis 1500 Tiere in den weiten Überschwemmungsgebieten der Oder, um dem grimmen Winter in ihren skandinavischen und lettischen Brutgebieten zu entfliehen. Immer wieder erschallen dann in den Auen jene Posaunenrufe, denen die Schwäne ihren Namen verdanken. „Ein Laut, der an das Schmettern von Silberhörnern erinnert, an das Dröhnen von Erzglocken“, so beschrieb sie einmal der finnische Schriftsteller und Naturschützer Yrjö Kokko, „eine Stimme, die mich mit so fremdartiger Sehnsucht erfüllt.“

Kokko hat nicht unrecht. Zumindest habe ich es während eines Besuchs im Odertal ähnlich empfunden. Für die aktuelle Ausgabe des naturgucker Magazins habe ich das aufgeschrieben und gleich mal darüber berichtet, warum sich die Schwäne oft auf Äckern herumtreiben, warum sie möglicherweise bald dauerhaft auch in Deutschland siedeln und wieso das Odertal darüber hinaus ein echtes Vogelparadies ist.

In ein paar Tagen werden die meisten Singschwäne die Region aber erst einmal wieder in Richtung ihrer Brutgebiete verlassen. In areodynamischer Keilformation ziehen sie dann mit ihren Artgenossen, den Hals weit nach vorn gereckt, traurig-schöne Rufe schmetternd. Ihr Aufbruch ist das endgültige Zeichen für den nahenden Frühling. Denn auf ihren Schwingen, so heißt es in einem japanischen Sprichwort, tragen die Singschwäne den Winter davon.

Funkelndes Firmament – Das Sternenpark-Projekt im Westhavelland

Noch nie die Milchstraße gesehen? Nun, dann wird es aber höchste Zeit! Denn wenn sich hoch droben jenes schimmernde Glitzerband quer über den Nachthimmel zieht, ist dies ein Augenschmaus alleroberster Kajüte. Formidable Gelegenheiten hierfür bietet das Westhavelland in Brandenburg. Dass dies immer mehr ins öffentliche Bewusstsein sickert, liegt nicht zuletzt an Andreas Hänel. In einer klaren Aprilnacht im Jahr 2009 machte sich der Leiter der Osnabrücker Sternwarte auf den Weg zum einsamen Deich an der Gülper Havel, um ein in Fachforen auftauchendes Gerücht einer Probe zu unterziehen. Das Westhavelland sei womöglich die dunkelste Gegend Deutschlands, stand dort geschrieben. Hänel konnte diese Vermutung im Zuge seines Ausflugs bestätigen – 21,78 Größenklassen pro Quadratbogensekunden zeigten seine Messgeräte. „Das bedeutet fast natürlich dunklen Himmel“, erläutert der promovierte Astronom. Ideal für Sternenbeobachtungen also.

Das Westhavelland ist deswegen immer mehr zu einem Anziehungspunkt von Profi- und Hobbysternenguckern geworden. Mehr noch: In einigen Monaten wird die Region vielleicht sogar offiziell von der „International Dark Sky Association“ (IDA) als erster Sternenpark Deutschlands anerkannt. Bislang tragen diesen Titel nur abgelegene Regionen in Nordamerika, Schottland oder Ungarn. „Dass so etwas auch im dicht besiedelten Deutschland möglich sein könnte, das vermochten sich hiesige Astronomen bis vor wenigen Jahren eigentlich nicht vorzustellen“, sagt Hänel. In der Tat wird das Sternegucken hierzulande immer schwieriger: Satellitenbilder zeigen, dass sich die Lichtverschmutzung ausgebreitet hat, vor allem im Umkreis größerer Städte. Straßenlaternen, Fassadenleuchten oder Skybeamer strahlen dort ihr Licht in die Atmosphäre ab, wo es gestreut wird und den Nachthimmel künstlich aufhellt. Was nicht nur ein astronomisches Problem ist: Auch der menschliche Schlaf sowie nachtaktive Tiere und Zugvögel sind von Lichtverschmutzung negativ betroffen. Andreas Hänel hat daher zusammen mit dem Naturpark Westhavelland die Sternenparkinitiative gestartet. „Der Titel würde dabei helfen, die Menschen hier für den Nachthimmel zu sensibilisieren und ihn zu bewahren“, sagt dessen Leiterin Kordula Isermann. Denn der Nachthimmel ist eine echte Perle. Davon durfte ich mich an der Gülper Havel selbst überzeugen. Was man dort neben der Milchstraße noch sehen kann, wie das Thema Lichtverschmutzung in der Region angegangen wird und wie die Chancen auf eine Ernennung zum Sternenpark durch die IDA stehen, habe ich für die aktuelle Ausgabe des Fritz aufgeschrieben. Wer nach der Lektüre Lust auf einen Ausflug ins Westhavelland verspürt: Der Naturpark hat in einer Broschüre die lohnendsten Sternenspots samt Tipps und Tricks aufgeführt (Download hier). Also nix wie hin, oder wie?

Update: Anfang Februar 2014 hat die IDA die Bewerbung positiv beschieden. Soll heißen: Das Westhavelland hat nun tatsächlich den ersten offiziellen Sternenpark Deutschlands. Not bad!

Innenbetrachtung – Intronaut im Cassiopeia

„Ein Astronaut bereist den Raum dort draußen, ein Intronaut dagegen begibt sich in das Innere.“ Mit diesen Worten erläuterte Sänger und Gitarrist Sacha Dunable einmal den Namen seiner Band. Das Innere also. Wahrscheinlich gibt es dort wirklich mehr zu erfahren als anderswo. Das Brutzeln der Synapsen, das Rauschen des Blutes, das Wirbeln der Gedanken, das Rumoren der Emotionen. Und dann die Ruhe im Einssein mit sich.

So jedenfalls klingt das, was Intronaut seit zehn Jahren im Zuge ihrer Selbsterforschung zu Tage fördern. Am heutigen Sonnabend nun spielt das Quartett aus Kalifornien seine unerhört originelle Version des Progressive Metal im Cassiopeia zu Berlin. Zu hören gibt es dabei sicher auch einige Stücke ihres aktuellen und alles in allem wieder vorzüglichen Albums „Habitual Levitations“ (siehe hierzu auch meine Preview im aktuellen tip).

Insofern: Ausdrückliche Hingehempfehlung! Und wem diese paar Zeilen noch nicht ausreichen, um sich aufzuraffen, hört zumindest hier mal rein:

Köstliche Glibbermasse für das Kiwiana – Whitebaiting in Neuseeland

Jedes Jahr, wenn der Frühling in Neuseeland Einzug erhält, beginnt an den mitunter so einsamen Flussmündungen reger Betrieb. Ob in Whakatane in der Bay Of Plenty, Mokau in Taranaki oder Haast an der West Coast – schon im Morgengrauen versammeln sich hier Fischer von jung bis alt und werfen bis in die Abenddämmerung ihre Reusen und Netze aus.

Was sie umtreibt, ist kaum dicker und länger als ein Streichholz: Whitebait. Mag das nahezu transparente Aussehen und die glibberige Konsistenz dieser winzigen Fische zunächst nicht wirklich appetitlich anmuten: Aufgrund des krabbenartigen und zugleich mild-nussigen Geschmacks gelten sie als Delikatesse, für die man in manchen Jahren deutlich über 100 Dollar pro Kilo auf den Tisch legen muss.

Im ganzen Land versuchen daher die Kiwis ihr Glück mit den Kleinen. Dabei ist Whitebait eigentlich gar kein richtiger Fisch, sondern nur ein Oberbegriff für die Larven einheimischer Galaxia-Arten, forellenähnlichen Süßwasserfischen, die bis zu einem halben Meter lang werden. Während der Springfluten im Herbst, wenn das Meer in die Flüsse drückt, kommen die Alttiere aus dem Landesinneren herab an die Flussmündungen. In der überschwemmten Ufervegetation legen sie ihre Eier ab und befruchten diese, anschließend sterben viele von ihnen. Bei der nächsten hohen Flut schlüpfen jedoch unzählige Nachkommen und schwimmen in die offene See, wo sie den Winter verbringen. Wenn sie auf etwa fünf Zentimeter Länge angewachsen sind, kehren sie zurück zur Küste. Millionenfach wandern sie dann flussaufwärts, um in den Marschlanden oder Waldbächen erwachsen zu werden, im Herbst wieder gen Meer aufzubrechen und so den Kreislauf zu schließen. Ein Teil schafft es nicht. Denn bei ihrer Ankunft geht schnell die Kunde: „Der Whitebait kommt.“

Viele Legenden ranken sich über den genauen Zeitpunkt der Whitebait-Wanderungen. Welche das sind, wie man die kleinen Fische am besten fängt und zubereitet, wie sie überdies mit Rugby zusammenhängen und warum es schließlich nicht übertrieben ist zu behaupten, dass Neuseeland ohne das „Whitebaiting“ heute ein ganz anderes wäre, habe ich in einem Feature für die aktuelle Ausgabe von 360° Neuseeland aufgeschrieben.

Und wer die Winzlinge mal in Aktion sehen will – schaut Ihr hier:

Aufregender als all-inclusive – Die Facetten nachhaltiger Entwicklung

Nachhaltigkeit – das sind 14 Buchstaben in vier Silben, deren Aneinanderreihung dem Sprachgebrauch deutscher Amtsstuben entsprungen scheint. Trotzdem ist der Begriff tief in unseren Alltag eingesickert. Wenn wir beim Einkauf den Tiefkühlseelachs aus der Truhe holen, stammt er aus „nachhaltiger Fischerei“. Es gibt Werbeslogans, die „Natürlich nasch ich nachhaltig“ und „Nachhaltigkeit auf den Punkt gebracht“ lauten, und bei Autoherstellern gehen „technischer Fortschritt und nachhaltiges Handeln“ wie selbstverständlich „Hand in Hand“. Schöne neue Welt.

In Wirklichkeit ist das alles natürlich viel komplizierter. Die schöne neue Welt, sie existiert erst einmal nur in den Verlautbarungen der PR-Abteilungen. Dies jedenfalls durfte ich im vergangenen Jahr im Rahmen des Aufbaustudiengangs „Nachhaltigkeit und Journalismus“ an der Leuphana Professional School Lüneburg erfahren. Es waren inspirierende zwölf Monate, fürwahr. Meine Kommilitonen und mich umtrieb dabei die Frage, wie es seit der „Erfindung“ der Nachhaltigkeit durch den sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz vor genau 300 Jahren um diesen zunehmend omnipräsenten (und dabei oft nervensägenden) Begriff steht. So schrieb etwa 1987 die Brundlandt-Kommission in ihrem Report für die UN, nachhaltige Entwicklung, das sei ein Prozess, der „den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Welche ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Implikationen hat das? Können wir vor diesem Hintergrund einfach weitermachen wie bisher? Und wenn nicht: Welche Ideen und Initiativen gibt es, nachhaltige Entwicklung, diese unserer Meinung nach größte Herausforderung unserer Zeit, zu bewerkstelligen und journalistisch zu begleiten?

Eine unserer vorläufigen Antworten lautet: Nachhaltigkeit und ihre Entwicklung, das ist ein Abenteuer mit reichlich Raum für Fantasie und obendrein ein Weg, sich über „das gute Leben“ und dessen Verwirklichung klar zu werden. Die Blüten, die das bereits treibt und künftig treiben kann, haben wir obendrein dankenswerterweise in einem Nachhaltigkeitsmagazin für die seit dem gestrigen Donnerstag an den Kiosken erhältliche Ausgabe 45 der ZEIT darstellen dürfen.

Neben einer allgemeinen Betrachtung mit dabei:

Alles läuft rund – Wie Cradle-to-Cradle die Wirtschaftswelt neu erfinden will
Wohlfühlzone oder Totholzwüste – Der deutsche Wald
Perlen für die Wandersleut‘ – Geht nachhaltiges und faires Reisen?
Rauch-Zeichen – Wie Klimakompensation das Leben in Kenia verändert
Musik aus der Mülltonne – Das Duo Guaia Guaia
usw.

Wer den Gang zum Pressehändler seines Vertrauens scheut oder aus anderen Gründen kein Exemplar in die Finger bekommt, kann sich das Gute Stück auch als .pdf zu Gemüte führen – und zwar hier. Ich würde mal behaupten: Es lohnt sich!

Schönet Wochenende wünsch ich mit nem Stück der Mülltonnenmusiker…