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„Die Natur vor die Haustür holen“ – Wie das Projekt „Natürlich Hamburg!“ Grünflächenpolitik & -management in Städten verändern will

Im November 2017 trat Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan vor die Presse und sagte:

„Es ist wichtig, in Parks und Grünanlagen richtige Natur zu erleben, nicht nur den kurz gemähten englischen Rasen.“

Und weiter:

„Wir wollen zeigen, dass naturbelassene Bereiche auch in gepflegte Parks passen und spannende Naturerlebnisse bieten.“

Anlass dieser Sätze war die Vorstellung von „Natürlich Hamburg!“, dem ersten Naturschutzgroßprojekt in einer deutschen Großstadt. Mit Unterstützung des Bundesamts für Naturschutz will die Hansestadt in den kommenden Jahren mehr Wildnis auf ihren Grünflächen zulassen und ihre Naturschutzgebiete aufwerten. Mehr noch: Das Projekt soll, wie von Kerstan angedeutet, die Frage bearbeiten, wie Großstädte und ihre Bewohner prinzipiell Stadtgrün begreifen und was nötig ist, um sie naturnäher zu gestalten.

Hamburgs Stadtgrün soll naturnäher werden - so wie hier am Wandsebach Foto:

Hamburgs Stadtgrün soll naturnäher werden – so wie hier am Wandsebach (Quelle & Copyright: BUE/Christoph Siegert)

Das ist nicht unerheblich. So tummeln sich in Städten auf relativ kleiner Fläche zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Sie werden angezogen vom Strukturreichtum und den damit einhergehenden Nischen, nicht zuletzt, weil diese im zunehmend ausgeräumten Umland immer seltener werden. Auch menschliche Stadtbewohner profitieren von einer vitalen und artenreichen Stadtnatur – hilft sie doch bei Luftreinigung und Wasseraufbereitung, puffert sie Temperaturspitzen ab, fördert sie Gesundheit und Erholung und ist obendrein ein sozialer Begegnungsort (s. dazu die Metastudie von Naturkapital Deutschland).

Folgerichtig gerät Stadtnatur immer mehr in den Blick, wenn es darum geht, Herausforderungen wie das Artensterben, die Urbanisierung und die Klimakrise zu meistern. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht: Immer mehr Brachen und verwilderte Baulücken verschwinden infolge der sogenannten „Inneren Verdichtung“. Zwar mag dadurch eine weitere Zersiedelung des Umlands zumindest gedämpft werden. Innerstädisch droht jedoch eine Verödung.

Vor diesem Hintergrund lässt sich „Natürlich Hamburg!“ also nicht nur als  naturschutz-, sondern auch stadtpolitisches Projekt mit Pilotcharakter begreifen, indem es zu beantworten sucht, wie Biodiversität in Städten erhalten sowie langfristig ausgebaut werden kann. Das meint nicht nur Strategien in Stadt- und Freiraumplanung, sondern auch die konkrete Gestaltung sowie das Management öffentlicher Park- und Grünanlagen. Denn gegenwärtig bestehe noch zu häufig ein „Dissens zwischen arten- und biotopschutzorientiertem Naturschutz auf der einen Seite und traditioneller Grünflächenpflege auf der anderen Seite“, so das BfN. Das Projekt solle sich daher nicht zuletzt der Frage widmen, wie dieser Konflikt aufzulösen sowie ganz grundsätzlich eine „gleichberechtigte Integration der Belange des Naturschutzes in die städtebauliche Entwicklung“ sicherzustellen sei.

Bis 2031 hat „Natürlich Hamburg!“ Zeit, entsprechende Antworten zu liefern. Derzeit läuft die Planung, die ab 2022 sukzessive umgesetzt werden soll – an insgesamt 40 Standorten mit einer Gesamtfläche von 6.200 Hektar, zuzüglich vier großer Ausfallstraßen (eine entsprechende Karte findet sich hier). Derzeit sind u.a. folgende Maßnahmen vorgesehen:

  • Anlegen von artenreichen Blumenwiesen
  • Förderung von Wildstauden
  • Sicherung von Altbäumen und Totholz
  • naturnahes Straßenbegleitgrün
  • Renaturierungen und Sanierungen
  • ökologische Aufwertung und besucherfreundliche Gestaltung von Naturschutzgebieten

Weil ich all das sehr spannend finde, habe ich mich kürzlich anlässlich eines Seminars an der Berufsschule 06 Hamburg eingehender mit „Natürlich Hamburg!“ beschäftigt. Dabei ging es neben den Grundzügen des Vorhabens sowie der geplanten Umsetzung auch um eine Einordnung mithilfe unabhängiger Expertenstimmen aus Naturschutz sowie Garten- und Landschaftsbau. Wen es interessiert: Die dabei entstandene Vortragspräsentation findet sich nun hier als PDF.

Keimzellen für wildes Leben – Naturschätze im Centro de Portugal

Flapp, flapp, flapp. Auf und ab schlagen die Schwingen und tragen den Purpurreiher über das Wasser. Sein sonst so langer Hals ist zu einem S aufgebogen, die Beine mit den großen Klauen sind weit nach hinten gereckt. Er ist etwas kleiner als der verwandte Graureiher, dafür schimmern Flügel und Rumpf zwischen dunkelgrau und bräunlich-violett in der Sonne. Ein prächtiger Anblick.

Die Szene trägt sich zu über der Ria de Aveiro, einem Feuchtgebiet an der Westküste Portugals. Mit rund 150 Brutpaaren zählt sie zu den nationalen Hot-Spots des Garça-vermelha, wie der Purpurreiher in der Landessprache heißt. Die Ria liegt eine Autostunde südlich von Porto, dort, wo der Fluss Vougo und der Atlantik aufeinanderstoßen. Ozean und Flusswasser, aber auch die ansässigen Menschen haben hier über Jahrhunderte ein Patchwork aus Lagune, Delta und Agrarland ausmodelliert.

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Feuchtwiesen, Äcker und der Einfluss der Gezeiten: Die Ria de Aveiro, im Hintergrund die Ausläufer der Serra da Estrela

„Dank all dieser Nischen ist die Ria für viele Tier- und Pflanzenarten unheimlich wichtig“, sagt Eduardo Mendes, der für das örtliche Umweltbildungs- und Naturtourismusprojekt BioRia arbeitet. Die Purpurreiher, aber auch Rohrweihe, Teich- oder Drosselrohrsänger fänden in den großen Schilfflächen ungestörte Nistplätze. Direkt nebenan wiederum sei auf den Wiesen, den kleinen Äckern und den Verlandungszonen der Tisch reich gedeckt. „Für sie ist das quasi ein Bed and Breakfast“.

Auch der seltene Gleitaar lässt sich an diesem Vormittag blicken, an den größeren offenen Wasserflächen sind Fischadler und Seidenreiher unterwegs – und zwei Dutzend Rosaflamingos. Aufgeschreckt schweben sie über den Wellenkämmen davon und landen in sicherer Entfernung, um mit ihren Schnäbeln erneut Kleinkrebse und Weichtiere aus dem Flachwasser zu filtern.

Unzählige Watvögel von Kampfläufern bis zu den Knutts schätzen die Ria ebenfalls als Überwinterungs- und Durchzugsgebiet. Nicht von ungefähr sind gut 50.000 Hektar ihrer Fläche als Special Protected Area (SPA) nach der EU-Vogelschutzrichtlinie ausgewiesen. Zudem leben hier unzählige Pflanzengesellschaften sowie viele Amphibien, Reptilien und mehr als 30 Säugetierarten.

Eine davon ist der Fischotter. „Hier war er“, sagt Eduardo und zeigt am Ufer eines Kanals auf ein vertrocknetes Kothäufchen. Es ist gespickt mit Panzerresten des Roten Amerikanischen Sumpfkrebs, einer aus Nordamerika eingeschleppten Art, die Bauern wie Naturschützern Sorgenfalten auf die Stirn treibt: Die Krebse bevölkern insbesondere die Reisfelder, wo ihr Bausystem den Pflanzen das Wasser abgräbt. Zudem räubern sie in den Fisch- und Amphibienbeständen. Glücklicherweise schmecken sie nicht nur dem Otter, sondern auch den Purpurreihern und den ebenfalls zahlreichen Weißstörchen. „Insofern profitiert die Ria wenigstens ein bisschen von ihnen“, meint Eduardo zweckoptimistisch.

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Auf der Hut: Rosa-Flamingos in der Ria de Aveiro

Auch an anderer Stelle droht dem Feuchtgebiet Ungemach. Ein Problem sei, erzählt Eduardo, dass sich der bislang eher kleinteilige Maisanbau immer mehr ausdehne. Zudem sollen demnächst viele Flächen eingedeicht werden, um sie besser bewirtschaften zu können. „Dadurch würden wertvolle Habitate verloren gehen.“ Doch der junge Biologe gibt die Hoffnung nicht auf: Viele Ortsansässige und Schulklassen kämen in die Ria, um das Infozentrum zu besuchen oder eine Wanderung zu unternehmen. „Ich bin überzeugt, dass diese Erfahrungen das Band zur Ria stärken – wovon letztlich auch ihr Schutz profitiert.“

Rund drei Autostunden nordöstlich der Ria, direkt an der Grenze zu Spanien, befindet sich eine weitere Perle unter Portugals Landschaften: Das Flusstal des Douro. An seinen steilen Hängen werden seit 2000 Jahren köstliche Reben kultiviert, darunter der berühmte Portwein. Zudem gehört das Tal zum Douro Internacional, einem Naturpark, der dem Verlauf des Douro über rund 120 Kilometer folgt und auch das bergige Hinterland umfasst.

Am Himmel darüber zeigen sich gewaltige Silhouetten: Geier! Sie tauchen erstmals rund um den Ribeira de Mosteiro, einen kleinen Zufluss des Douro, auf. Fünf Gänsegeier ziehen hier über schroffen Klippen ausladende Kreise in die Luft. „Sie nutzen die Aufwinde, um Höhe zu gewinnen“, erläutert Fernando Romão. „Anschließend können sie im Gleitflug große Entfernungen zurücklegen und so viel Energie sparen.“

Fernando ist Biologe und als Guide oft im Douro Internacional unterwegs. Zu dessen Tier- und Planzenwelt gehören nicht nur die Geier: Am Lauf des Ribereiro de Mosteiro etwa jagen Vipernattern Iberische Wasserfrösche. Weiter oben im Bergland brummen Wildbienen durch blühende Lavendelwiesen, und aus niedrigem Gestrüpp dringt der Ruf einer Wachtel.

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Bienenumbrummter Lavendel

Am auffälligsten bleiben dennoch die großen Greife. Im Douro Internacional leben schätzungsweise 500 bis 1000 Brutpaare des Gänsegeiers, rund 140 Brutpaare des Schmutzgeiers sowie einige Adlerarten. Besonders hoch ist ihre Dichte am Aussichtspunkt Penedo Durão: Steil fällt dort eine kolossale Gesteinswand hinab, der Blick über den Douro nach Spanien ist atemberaubend. Mehrere Gänse- und Schmutzgeier gleiten im sanften Licht der Abendsonne dahin.

Sie nisten hier nicht zuletzt wegen einer Zufütterungsstation. In grauer Vorzeit, erzählt Fernando, hätten sich die majestätischen Vögel von toten Wildpferden, Auerochsen oder Steinböcken ernährt, mit Ankunft des Menschen dann zunehmend von Viehkadavern. Doch damit sei es schwierig geworden, wegen der EU-Vorschriften in Sachen Tierseuchenhygiene, vor allem aber, weil sich die Region seit den 1940er Jahren entvölkere. „Mit den Menschen geht auch das Vieh, ohne dass es gleichwertigen Ersatz gibt. Deshalb ist Zufütterung für den Erhalt der Geier existenziell.“

Mönchsgeier über dem Penedo Durão

Mönchsgeier über dem Penedo Durão

Tags darauf gibt es eine erneute Begegnung mit den geflügelten Aasfressern. Schauplatz ist diesmal das Reservat Faia Brava, das sich südlich des Douro über 1000 Hektar auf einem Hochplateau erstreckt. Seine Felsmassive und die nahe Schlucht des Coa-Flusses bieten Brutplätze für Gänse- und Schmutzgeier, auch Stein- und Habichtsadler sowie Schwarzstorch sind mit einigen Paaren vertreten.

Überhaupt ist Faia Brava ein hochinteressantes Fleckchen Erde. Schon vor Jahrtausenden streiften Menschen durch das Einzugsgebiet des Reservats, wovon prähistorische Felsgravuren im nahen Coa-Tal Zeugnis ablegen. Später rodeten sie die alten Eichenwälder, um Holz zu gewinnen sowie Getreide anzubauen und Vieh zu weiden.

Mitte des 20. Jahrhunderts setzte jedoch auch hier die Landflucht ein – wodurch Freiräume entstanden sind, in denen nun wieder Flora und Fauna das Zepter übernehmen sollen. An diesem Morgen schimmert die Macchie in Faia Brava blass-golden, darüber erheben sich immer wieder Grüppchen aus Stein- und Korkeichen, die von den Sägen verschont blieben. Unzählige kleinere Vogelarten flattern durch die savannenartige Landschaft oder lassen ihren Gesang erklingen, vom Weiden- und Steinsperling über Wiedehopf, Wendehals und Orpheus-Grasmücke bis hin zu Rotkopf- und Mittelmeer-Raubwürger.

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Halboffene Landschaft in Faia Brava

Marmormolche und Wasserfrösche wiederum haben die glitzernden Teiche des Reservats für sich entdeckt, darüber schwirren Plattbauchlibellen herum. Heimlicher leben die Großsäuger, die ebenfalls nach Faia Brava zurückgekehrt sind, etwa das Rehwild oder der Iberischen Wolfs, der zuweilen durch das Gelände streifen.

Pedro Prata arbeitet daran, dass sich all diese Arten noch mehr Raum erschließen können. „Eine wildere Zukunft für das Größere Coa-Tal“, so lautet die Überschrift des Projekts, das der Biologe koordiniert. Auf 120.000 Hektar soll bis 2024 ein Netzwerk aus Reservaten entstehen, die bis zu den Malcata-Bergen im Süden durch Wanderkorridore miteinander verknüpft sind.

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Das Coa-Tal soll bald Herzstück eines Netzwerks für die Wildnis sein.

Träger des Projekts ist „Rewilding Europe“, eine europaweite Initiative, die auch in den Karpaten, in Lappland oder am deutsch-polnischen Oder-Delta aktiv ist. Die Prämisse der Organisation: Mithilfe artenreicher – und durchaus spektakulärer – Flora und Fauna das Profil ganzer Regionen zu schärfen und damit Naturtourismus sowie andere Kleingewerbe anzukurbeln. Davon sollen Menschen und Landschaften gleichermaßen profitieren: Die einen, weil sie selbst in strukturschwachen Gegenden noch eine Perspektive sehen. Die anderen, weil in ihnen trotz kultureller Einflüsse wieder ausreichend Platz für Wildnis ist.

Auch in Faia Brava wurde dieses Konzept erprobt. „Rewilding Europe“ kooperiert seit längerem mit dem Reservat, das ATN gehört, jener portugiesischen Naturschutzorganisation, deren Chef Pedro einst war. Er kennt Faia Brava daher aus dem Effeff – und will die Erfahrungen nun in größerem Maßstab anwenden.

Eine wesentliche Rolle dabei spielen große Pflanzenfresser. In Faia Brava streifen rund 50 Maronesa-Rinder sowie 20 Garranos-Pferde durch das Reservat. Ohne die Beweidung durch diese beiden alten Nutztierrassen, so Pedro, würde das Areal überwuchert – die Mosaikstruktur und ihre Artenvielfalt gingen verloren. Außerdem steige dann die Gefahr großer Brände, ein Problem, mit dem Portugal immer wieder zu kämpfen hat.

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Garranos-Pferde in Faia Brava

Damit Pferde und Rinder außerhalb Faia Bravas keinen Schaden anrichten, ist das Reservat eingezäunt. Kann sich auf diese Weise tatsächlich so etwas wie Wildnis entwickeln? Faia Brava sei eben ein Testlauf gewesen, sagt Pedro. Im neuen, größeren Projekt soll noch mehr Rehwild als bislang dabei helfen, die Sukzession in Schach zu halten. Außerdem setzen Pedro und seine Mitstreiter darauf, dass sich in den miteinander vernetzten Projektgebieten Wildkaninchen ausbreiten – nicht zuletzt als Beute für den Wolf und den stark gefährdeten Pardelluchs.

Aus dem Zusammenspiel großer und kleiner Pflanzenfresser mit Räubern und Aasfressern wie den Geiern, so Pedros große Hoffnung, solle wieder ein ‚Circle of Life‘ in Gang kommen. „Unser Ziel ist es, natürliche Prozesse anzustoßen, die menschliche Eingriffe auf lange Sicht überflüssig machen.“

Mit aktivem Jagdmanagement sowie Events und Festivals wollen sich Pedro und seine Mitstreiter um Aufklärung und Akzeptanz bemühen – und eben gemäß des „Rewilding Europe“-Konzepts auch wirtschaftliche Anreize setzen. In Faia Brava bieten bereits Guides Touren und Foto-Safaris an, inmitten des Reservats gibt es ein kleines Camp für Übernachtungen, und in der Umgebung vermarkten Bauern und Handwerker ihre Produkte unter dem Label „Faia Brava“.
Zudem könne inzwischen rund ein Drittel der Reservatsfläche komplett sich selbst überlassen werden, erzählt Pedro. Und unlängst wurde in der Nähe tatsächlich endlich wieder ein Pardelluchs gesichtet, höchstwahrscheinlich ein herumstreifendes Exemplar aus dem Süden, wo die Wiederansiedlung der Art läuft.

Für Pedro sind all das Hoffnungszeichen. So wie die zwei kleinen Pünktchen, die hinter dem Ausgangstor von Faia Brava über den Äckern und Dörfern auftauchen. Ein Blick durchs Fernglas – es sind ein Schlangen- und ein Zwergadler! Auch sie bauen ihre Nester wieder in Faia Brava, ohne sich naturgemäß an dessen Grenzen zu halten. Ganz in Pedros Sinne: „Wir wollen, dass wilde Arten in unserer Region wieder freier leben können. Unsere Reservate sollen dafür Keimzellen sein.“

Dieser Text erschien zuerst im NATURGUCKER Magazin #41.

Hoffnung für den „Märkischen Strauß“ – Zu Besuch bei den letzten Großtrappen Deutschlands

Er sieht aus wie ein Kunstwerk von Salvador Dali. Leuchtendes Weiß, ein Hauch von Rotbraun sowie helles Grau mit einem Stich ins Himmelblaue, alles seltsam ineinander verschwommen. Er bläht den Hals, reckt den Federbart, spreizt aufreizend die Flügel von unten nach oben, dreht sich, hebt das Hinterteil, tänzelt, stolziert. Ein prächtiger Anblick, solch ein balzender Großtrappenhahn.

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Balzender Großtrappenhahn im Westhavelland. (Quelle: Förderverein Großtrappenschutz)

Das Spektakel findet von Mitte März bis Mitte Mai statt, dann, wenn die Hähne an bereits seit Generationen genutzten Balzplätzen zusammenkommen und prahlerisch um die Gunst der Hennen werben. Dass es hierzulande überhaupt noch in freier Wildbahn zu bewundern ist, war lange Zeit nicht ausgemacht.

Ursprünglich kamen und kommen die Großtrappen in den Steppen Europas und Mittelasiens vor, deren offen einsehbare Strukturen ihrem wachsamen Wesen entsprechen. Als ab dem Mittelalter für die Landwirtschaft Wälder gerodet und Sümpfe trockengelegt wurden, besiedelten die Vögel zunehmend auch die „Kultursteppen“ des Acker- und Weidelandes und waren im 18. Jahrhundert in ganz Europa bis nach Schottland und Südschweden weit verbreitet.

Davon kann heute keine Rede mehr sein: Inzwischen gelten die kolossalen Tiere weltweit als gefährdet, die etwa 50.000 verbliebenen Exemplare leben in versprengten Restpopulationen von Spanien bis zum westlichen China. Die Roten Listen verzeichnen die Art hierzulande sogar als vom Aussterben bedroht. Ehemalige Vorkommen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind vor Jahrzehnten erloschen, einzig an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg finden sich noch drei kleine Einstandsgebiete.

Ingesamt knapp 170 Großtrappen leben dort derzeit, im Havelländischen Luch bei Buckow, dem Fiener Bruch im Süden Genthins sowie auf den Belziger Landschaftswiesen. Dass es sie noch gibt, ist örtlichen Ornithologen rund um das Ehepaar Heinz und Bärbel Litzbarski zu verdanken, die sich in den Siebziger Jahren an den Schutz der vom Exodus bedrohten Vögel machten. Ein Förderverein führt die Arbeit bis heute fort und versucht, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Art hierzulande ihr Überleben wieder aus eigener Kraft sichern kann.

Wie das konkret passiert, habe ich mir im Rahmen eines Vor-Ort-Besuchs erklären lassen und für die aktuelle Ausgabe des NATURGUCKER Magazins aufgeschrieben. In dem Bericht geht es um die industrialisierte Landwirtschaft, um Fuchs, Waschbär und Seeadler, aber auch darum, wieso es leise Anzeichen der Hoffnung gibt, dass das atemberaubende Angebertum der Großtrappenhähne auch in Zukunft zu bewundern ist. Schön wäre es ja. Denn ohne den „Märkischen Strauß“, der eigentlich mit den Kranichen und Rallen verwandt ist,  würde was fehlen:

Die schwierige Rückkehr der Waldkönige – Das Wisent-Auswilderungsprojekt im Rothaargebirge

Mächtige Hirschtrophäen zieren das Foyer von Schloss Berleburg. An den Wänden zeigen historische Stiche Szenen einer Hasen- und Sauenhatz, eine Ahnengalerie präsentiert gewichtige Persönlichkeiten. Der Bau im Renaissancestil ist Stamm- und Wohnsitz der Familie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, einem Adelsgeschlecht, dessen Wurzeln bis in das 12. Jahrhundert zurück reichen. Einer der Hausherren, Prinz Gustav, sitzt Anfang Mai mit schwarzer Daunenweste und schweren Bergstiefeln vor Pressevertretern auf einem Podium im Schlossfoyer und sagt, es sei „ein spannendes Jahr“ gewesen. Er redet nicht von der Jagd auf Hasen, Wildschweine oder Hirsche. Prinz Gustav redet von den Wisenten, die erstmals seit Jahrhunderten wieder durch einen westeuropäischen Wald ziehen.

Rückblende: Es ist der 11. April 2013, als sich für Abdia, Abtisa, Araneta, Dareli, Daviedi, die Queen vom Rothaarsteig sowie Egnar und Quandor die Tore zur Freiheit öffnen. Knapp drei Jahre haben die sechs Kühe und die zwei Bullen in einem Auswilderungsgehege nördlich der Kleinstadt Bad Berleburg gelebt. Nun soll die Herde in den umliegenden Wäldern des Rothaargebirges tun und lassen dürfen, was ihnen gefällt. Mehr oder weniger jedenfalls.

Die ausgewilderte Wisent-Herde im Rothaargebirge

Die Idee dazu hatte Prinz Richard, der Vater von Gustav und das Oberhaupt der zu Sayn-Wittgenstein-Berleburgs. Die Familie betreibt in der Region die größte private Forstwirtschaft Nordrhein-Westfalens, insgesamt 13.000 Hektar Wald, in dem vor allem Fichten und Buchen wachsen. Hier brüten seltene Vögel wie Schwarzstorch oder Raufußkauz, und im Jahr 2003 kam Prinz Richard dann auf den Gedanken, einen Teil seines Forsts auch den Wisenten zur Verfügung zu stellen. Immerhin seien die Riesen, so erklärte er es einmal in einem Interview, „wunderbare, faszinierende Tiere“, die obendrein in die örtliche Landschaft gehörten.

Tatsächlich lag Deutschland einst mittendrin im Wisent-Populationsgebiet. Bison bonasus, so der wissenschaftliche Name des massigen Wildrinds, war als „König der Wälder“ ursprünglich in drei Unterarten von Frankreich und Spanien bis zur Wolga sowie dem Kaukasus verbreitet. Forst- und Landwirtschaft sowie Jagd und Wilderei dezimierten den Bestand jedoch immer mehr, bis 1927 im Kaukasus der letzte freilebende Wisent geschossen wurde.

Das Aussterben der Art konnte trotzdem abgewendet werden, wenn auch nur um Haaresbreite: In Tiergärten existierten Anfang der Zwanziger noch 54 Exemplare, so dass engagierte Biologen und Zoodirektoren ein aufwändiges Zuchtprogramm auflegten. 1952 konnten die ersten Wisente wieder ausgewildert werden, im Urwald von Białowieża an der polnisch-weißrussischen Grenze, ähnliche Projekte in der Ukraine, Russland, der Slowakei und Litauen folgten.

Trittsiegel eines Wisents

Heute gibt es weltweit wieder mehr als 5000 der massigen Rinder. Knapp zwei Drittel davon entfallen auf die freien Populationen Osteuropas, und wie dort sollen die Wisente auch in mittel- und westeuropäischen Wäldern abermals heimisch werden – zumindest wenn es nach den zu Sayn-Wittgenstein-Berleburgs und ihren Mitstreitern geht. Johannes Röhl, der als Forstdirektor die Geschäfte im fürstlichen Wald führt, sagt beim Pressetermin auf Schloss Berleburg, Hauptziel aller Beteiligten sei es, „dabei behilflich zu sein, dem Wisent in einem Freilandprojekt beim Überleben zu helfen“. Denn trotz aller Nachzuchterfolge stehe die Art noch immer vor einer „genetischen Katastrophe“.

Was Röhl meint, ist der Umstand, dass die Anfang der Zwanziger Jahre verbliebenen Wisente von lediglich zwölf Gründertieren abstammten. Auch heute noch resultiert daraus eine hohe Inzuchtgefahr sowie die Anfälligkeit für Krankheiten. Jedes Individuum ist daher im Internationalen Wisent-Zuchtbuch registriert, um die Rekombination von geeigneten Elterntieren koordinieren zu können und so den globalen Bestand weiter wachsen zu lassen.

Diese Strategie ist freilich darauf angewiesen, bestehende Herden zu erweitern und neue zu entwickeln – wie jetzt im Rothaargebirge. Schon vor dem Auswilderungsprojekt galt Deutschland als wichtige „Wisentnation“, mit mehr als 500 Tieren in Zoos oder großen Freigehegen wie der Döberitzer Heide. Um sie nun auch in freier Wildbahn wieder ansiedeln zu können, sagt Forstdirektor Röhl, brauche es keine Urwälder wie in Osteuropa. „Uns geht es darum, Mut zu machen und zu zeigen, so ein Projekt geht auch im Wirtschaftswald.“

Die Herde der „Wisent-Wildnis“ bei Bad Berleburg

Das sehen nicht alle so. Zwar sind Kreis- und Landespolitik mit im Boot, nicht zuletzt aus Gründen des Regionalmarketings, auch das Bundesamt für Naturschutz begleitet das Projekt. Waldbesitzer im benachbarten Hochsauerlandkreis jedoch klagen seit der Freilassung der Wisente über Schälschäden an ihren Bäumen – und sind jetzt vor Gericht gezogen, um zu verhindern, dass sich die Riesen weiterhin an der Rinde ihrer Buchen gütlich tun.

Noch ein wenig ausführlicher nachzulesen ist das alles in der aktuellen Ausgabe des naturgucker Magazins, für die ich die Auswilderung der Wisente im Rothaargebirge samt ihrer Schwierigkeiten etwas ausführlicher beschrieben habe (eine Vorschau auf das Heft gibt es hier). Es ist eine Geschichte über den grundsätzlichen Konflikt, Wildnis und Zivilisation unter den gegebenen Umständen in Einklang zu bringen. Mit offenem Ausgang.

Schillerndes für die Seele – Streuobstwiesen im Raum Lüneburg

Goldparmäne. Geflammter Kardinal. Edelborsdorfer. Solcherlei schillernde Namen sind untrennbar verbunden mit knorrigen Baumstämmen, die zum Beispiel entlang der Landstraßen in der Elbtalaue ihre Äste gen Himmel verdrehen. Die alten Obstalleen der Region in Niedersachsen sind Zeugnis einer Kulturlandschaft, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht: Damals begannen die Bauern – gebeutelt von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs – damit, Wegsäume, Ortsränder und Hofstellen mit Obstbäumen zu bepflanzen. Trotz knapper Ackerflächen sicherten sie so nicht nur die Versorgung mit frischen Früchten, sondern konnten auch den rauen Winden des Nordens trotzen. Einen Teil der Ernte verkauften sie später an Handelsschiffe, die die Ware nach Hamburg oder Berlin lieferten. Ein hübscher Nebenverdienst für viele.

Die Bedeutung der Alleen hier und anderswo in Deutschland ist jedoch nicht allein eine historische: Umweltverbände wie der NABU qualifizieren sie sowie Streuobstwiesen als „Hot Spots der Biodiversität in West- und Mitteleuropa“. Mit insgesamt rund 6.000 bekannten Sorten wie Goldparmäne & Co. beherbergen sie ein wichtiges Genreservoir für die Zukunft des Obstanbaus, zudem ziehen sie unzählige Tiere und Pflanzen an.

Ausschlaggebend hierfür ist der Mensch: Er ist es, der die Alleen und Wiesen anlegt, in lockeren und gemischten Beständen von bis zu 120 Bäumen pro Hektar. Er ist es, der sie veredelt und pflegt, mittels vegetativer Zucht und Astbeschnitt. Und er beschützt sie, indem er sie als Viehweide oder zur Heumahd nutzt und so verhindert, dass sich konkurrierende Sträucher und andere Gehölze breit machen.

Die daraus entstehenden „Savannen“, in denen lichter Wald mit Blumen- und Kräuterwiesen wechselt, sind Lebensraum für etwa 5000 Tier- und Pflanzenarten.

Alte Obstbaumallee bei Bitter
(Quelle: Olaf Anderßon/Lüneburger Streuobstwiesenverein)

Ihre Zukunft ist allerdings ungewiss. Längst haben profitablere Plantagen den Löwenanteil der Obstproduktion für den Massenmarkt übernommen, auch hierzulande – in Monokulturen von 3000 Stück pro Hektar, gepäppelt mit hohem Düngereinsatz sowie mit Pestiziden vor Krankheiten und Unterwuchs geschützt.

Immerhin: Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland noch Bestände von 300.000 bis 500.000 Hektar. Zum Beispiel eben in der Elbtalaue sowie im Lüneburger Raum. Hier arbeiten zahlreiche Menschen in Vereinen, beim Landkreis sowie in Unternehmen daran, die überlieferten Standorte alter Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Zwetschgensorte sowie das Wissen darüber lebendig zu halten.

Wie das genau funktionieren soll und inwiefern es sich für die Menschen im sprichwörtlichen Sinne bezahlt machen könnte, habe ich vor Ort ergründet und für die neue Sonderbeilage „Was zählt“ der Lüneburger Landeszeitung aufgeschrieben. Das gute Stück gibt es auch online, zusammen mit einer Reihe von weiteren Texten, etwa darüber, warum einige Lüneburger ihre Zeit verschenken oder das Reparieren von Elektrogeräten lernen und wie sich Stadt und Wirtschaft auf das Thema Peak Oil vorbereiten. Wohl bekomm’s…

Das Ziehharmonika-Prinzip – Überschwemmungsökologie an der Elbe

Gebrochene Deiche und überflutete Ortschaften, zerstörte Straßen und verwüstete Bahntrassen – wenn Flüsse über ihre Ufer treten, bedeutet das für die Betroffenen oft nichts Gutes. So wie im vergangenen Juni: Hunderttausende Menschen kämpften hierzulande an Donau, Elbe oder Mulde mit einem „Jahrhunderthochwasser“, Schätzungen zufolge gingen die Schäden in den zweistelligen Milliardenbereich. Eine Katastrophe von historischen Ausmaßen.

Inwiefern gilt dies auch für die Tier- und Pflanzenwelt? Werden Flora und Fauna bei extremen Überschwemmungen einfach fortgespült oder können sie mit solchen Ereignissen umgehen? Und wie verändern die Wassermassen die umliegenden Ökosysteme insgesamt?

Am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) beschäftigen sich Ökologen seit längerem mit diesen Fragen. Beispielsweise führten die Forscher infolge des Elbehochwassers 2002 Studien zu Vegetation, Schnecken und Laufkäfern durch. Die Hypothese war naheliegend: Eine starke Überflutung in einer sonst weitgehend trockenen Jahreszeit dürfte Pflanzen und Weichtiere aufgrund ihrer eingeschränkten Beweglichkeit stärker beeinträchtigen als die mobileren Käfer.

Hochwasser an der Elbe bei Rosslau, Juni 2013
(Quelle: Künzelmann / UFZ)

Umso überraschender gestalteten sich die Ergebnisse. So blieb etwa die Vegetation in Artenzahl und -zusammensetzung weitgehend stabil. Alles eine Frage der Überlebensstrategie: Einige Pflanzenarten haben sich an das Leben mit außerplanmäßigen Fluten angepasst, indem sie Unterwasserblätter ausbilden. Andere wiederum haben zuvor schon so viel Samen im Boden eingelagert, dass sie trocken gefallene Standorte als Pionierarten neu besiedeln können.

Im Fall der Schnecken fanden die Forscher in den Elbauen unmittelbar nach der Flut sogar 13 neue Arten – ein Anstieg zu den Vorjahren um mehr als ein Drittel. Verantwortlich hierfür war insbesondere der Eintrag von Wasserschnecken. Doch auch die an Land lebenden Spezies kamen gut mit den Überschwemmungen zurecht, etwa die seltene Ufer-Laubschnecke. Denn ahnlich wie Ameisen flüchten Schnecken bei Hochwasser an der Vegetation senkrecht in die Höhe, oder sie werden mit Treibgut in andere Lebensräume verdriftet.

Die Laufkäfer erwischte es dagegen auf dem falschen Fuß. Zwar können die meisten auenspezifischen Käfer schwimmen. Im August 2002 befanden sich jedoch eine Reihe von ihnen im Larven- oder Verpuppungsstadium. Ausgerechnet von den wasserliebenden Arten gingen so über 40 Prozent verloren, insgesamt verschwand rund jede vierte Spezies.

Allerdings sind Laufkäfer in der Lage, frühzeitig Pionierstandorte zu besiedeln und sich dann explosionsartig zu vermehren. Auf Dauer ist deshalb selbst nach starken Überschwemmungen eine Art „Ziehharmonikaprinzip“ zu verzeichnen. Soll heißen: Über kurz oder lang kehren die betroffenen Ökosysteme wieder weitgehend in ihren Ausgangszustand zurück.

Bei Dessau weitgehend verschwunden: Der Ameisenbläuling
(Quelle: Künzelmann/UFZ)

Problematisch wird es jedoch, wenn eine Art nur noch über Restbestände verfügt, etwa in Folge von Eindeichungen oder intensiver Landnutzung. Seit dem Hochwasser 2002 sind beispielsweise die Falter des Ameisenbläulings aus den Wiesen bei Dessau nahezu verschwunden, weil seine Ausgangspopulation zuvor schon so klein war.

Unklar ist zudem bislang, welche Auswirkungen mehrere untypische Überschwemmungen hintereinander haben, weswegen am UFZ derzeit weitere Studien zum Thema laaufen.

Für die aktuelle Ausgabe des naturgucker Magazins habe ich all das ein wenig ausführlicher aufgeschrieben. Unter anderem steht dort, wie die heimische Vogelwelt auf starke Überflutungen reagiert. Soviel sei hier schon verraten: Einige profitieren, andere nicht. Welche das sind, kann man dieser Tage ja selbst am Kiosk nachlesen, hehe…

Silberhörner über den Auen – Die Singschwäne im Odertal

Da fliegen sie. Auf großen Schwingen, den Hals weit nach vorn gereckt, bis auf den markanten gelbschwarzen Schnabel ganz in weiß. Lautlos ziehen sie dahin, fast so wie die kleinen Wolken am blauen Himmel: Singschwäne.

Wer Glück hat, kann diese Szenerie derzeit noch im Unteren Odertal erleben. Der Nationalpark im Nordosten Brandenburgs gleich an der Grenze zu Polen ist eines der deutschlandweit größten Überwinterungsgebiete der Schwäne. Ab Oktober sammeln sich etwa 1000 bis 1500 Tiere in den weiten Überschwemmungsgebieten der Oder, um dem grimmen Winter in ihren skandinavischen und lettischen Brutgebieten zu entfliehen. Immer wieder erschallen dann in den Auen jene Posaunenrufe, denen die Schwäne ihren Namen verdanken. „Ein Laut, der an das Schmettern von Silberhörnern erinnert, an das Dröhnen von Erzglocken“, so beschrieb sie einmal der finnische Schriftsteller und Naturschützer Yrjö Kokko, „eine Stimme, die mich mit so fremdartiger Sehnsucht erfüllt.“

Kokko hat nicht unrecht. Zumindest habe ich es während eines Besuchs im Odertal ähnlich empfunden. Für die aktuelle Ausgabe des naturgucker Magazins habe ich das aufgeschrieben und gleich mal darüber berichtet, warum sich die Schwäne oft auf Äckern herumtreiben, warum sie möglicherweise bald dauerhaft auch in Deutschland siedeln und wieso das Odertal darüber hinaus ein echtes Vogelparadies ist.

In ein paar Tagen werden die meisten Singschwäne die Region aber erst einmal wieder in Richtung ihrer Brutgebiete verlassen. In areodynamischer Keilformation ziehen sie dann mit ihren Artgenossen, den Hals weit nach vorn gereckt, traurig-schöne Rufe schmetternd. Ihr Aufbruch ist das endgültige Zeichen für den nahenden Frühling. Denn auf ihren Schwingen, so heißt es in einem japanischen Sprichwort, tragen die Singschwäne den Winter davon.

Köstliche Glibbermasse für das Kiwiana – Whitebaiting in Neuseeland

Jedes Jahr, wenn der Frühling in Neuseeland Einzug erhält, beginnt an den mitunter so einsamen Flussmündungen reger Betrieb. Ob in Whakatane in der Bay Of Plenty, Mokau in Taranaki oder Haast an der West Coast – schon im Morgengrauen versammeln sich hier Fischer von jung bis alt und werfen bis in die Abenddämmerung ihre Reusen und Netze aus.

Was sie umtreibt, ist kaum dicker und länger als ein Streichholz: Whitebait. Mag das nahezu transparente Aussehen und die glibberige Konsistenz dieser winzigen Fische zunächst nicht wirklich appetitlich anmuten: Aufgrund des krabbenartigen und zugleich mild-nussigen Geschmacks gelten sie als Delikatesse, für die man in manchen Jahren deutlich über 100 Dollar pro Kilo auf den Tisch legen muss.

Im ganzen Land versuchen daher die Kiwis ihr Glück mit den Kleinen. Dabei ist Whitebait eigentlich gar kein richtiger Fisch, sondern nur ein Oberbegriff für die Larven einheimischer Galaxia-Arten, forellenähnlichen Süßwasserfischen, die bis zu einem halben Meter lang werden. Während der Springfluten im Herbst, wenn das Meer in die Flüsse drückt, kommen die Alttiere aus dem Landesinneren herab an die Flussmündungen. In der überschwemmten Ufervegetation legen sie ihre Eier ab und befruchten diese, anschließend sterben viele von ihnen. Bei der nächsten hohen Flut schlüpfen jedoch unzählige Nachkommen und schwimmen in die offene See, wo sie den Winter verbringen. Wenn sie auf etwa fünf Zentimeter Länge angewachsen sind, kehren sie zurück zur Küste. Millionenfach wandern sie dann flussaufwärts, um in den Marschlanden oder Waldbächen erwachsen zu werden, im Herbst wieder gen Meer aufzubrechen und so den Kreislauf zu schließen. Ein Teil schafft es nicht. Denn bei ihrer Ankunft geht schnell die Kunde: „Der Whitebait kommt.“

Viele Legenden ranken sich über den genauen Zeitpunkt der Whitebait-Wanderungen. Welche das sind, wie man die kleinen Fische am besten fängt und zubereitet, wie sie überdies mit Rugby zusammenhängen und warum es schließlich nicht übertrieben ist zu behaupten, dass Neuseeland ohne das „Whitebaiting“ heute ein ganz anderes wäre, habe ich in einem Feature für die aktuelle Ausgabe von 360° Neuseeland aufgeschrieben.

Und wer die Winzlinge mal in Aktion sehen will – schaut Ihr hier:

Kraftanstrengung für den Spatz der Niedermoore – Der Seggenrohrsänger im Odertal

Es ist ein ganz schönes Ballyhoo, das dieser kleine Vogel da verursacht: Der Seggenrohrsänger, kaum größer als ein Spatz, vernetzt Fachleute auf der ganzen Welt, bringt Politiker von nah und fern an den Tisch und veranlasst Finanzierungsvolumina in Millionenhöhe.

In seinem Fall muss das wohl auch so sein: Der unscheinbare Piepmatz, der der Vielweiberei und -männerei frönt, ist die am stärksten bedrohte Singvogelart Europas. Einst siedelten die Seggenrohrsänger zu Hunderttausenden in einem Gürtel, der von der Ostsee bis Ungarn und von den Niederlanden bis nach Westsibirien reichte. Heute schätzt die Forschung den weltweiten Bestand auf nur noch knapp 12.000 bis 14.000 singende Männchen, 95 Prozent weniger als zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts.

Schuld ist die jahrzehntelang im großen Stil betriebene Entwässerung von Feuchtbiotopen sowie die Eindeichung von Überschwemmungsgebieten zugunsten von Torfabbau und Landwirtschaft.  Die Vögel sind Spezialisten der Feuchtwiesen in den Niedermooren, wie sie in Flussniederungen und Senken entstehen. Hier dominiert eine lockere Vegetationsstruktur mit krautigen Pflanzen sowie den Seggen, jenen kniehohen, büschelartigen Sauergräsern, denen die Sänger den ersten Teil ihres Namens verdanken.

(Foto: Eugene Archer via flickr.com)

(Foto: Eugene Archer via flickr.com)

Dieser Lebensraum ist von Natur wegen zumindest in der EU praktisch verschwunden. Allein im Südwesten Weißrusslands gibt es noch größere Populationen der Seggenrohrsänger, außerdem in der Ukraine sowie der polnischen Biebrza-Niederung.

Hierzulande ist die Art dagegen so gut wie ausgestorben. Einzig im Unteren Odertal an der polnischen Grenze keimt noch Hoffnung. Jedes Jahr zeigen sich hier von Mai bis Juli ein paar der Vögel, neuerdings sogar wieder auf stabilem Niveau. Intakte Niedermoore gibt es zwar auch hier nicht mehr, aber Reste davon, die im Rahmen eines  E+E-Projekts erhalten, entwickelt und in Absprache mit den örtlichen Landwirten gemanaget werden sollen.

Für das naturgucker-Magazin war ich dort zu Besuch und habe mir von dem Projektleiter Jochen Bellebaum erklären lassen, wie das Ganze funktionieren soll und was das alles mit Frankreich, Litauen und Afrika zu tun hat (einen Eindruck davon, was in dem Heft noch so alles drinsteht, gibt es hier).

Bei weiterem Interesse am Thema, das exemplarisch zeigt, wie Biotop- und Artenschutz vielleicht funktionieren können, wenn nur (internationaler) Wille da ist, sei zudem noch die schöne Radioreportage „Operation Seggenrohrsänger“ von Anselm Weidner empfohlen.

Und jetze zum Ausklang noch’n Filmsche, damit man den Sänger endlich auch mal flöten und ratschen hört und sieht. Und bitte:

[Anm.: Ein früheres Bild zeigte irrtümlich einen Schilf- statt einen Seggenrohrsänger. Daher wurde es gegen das aktuelle ausgetauscht.]

Zu den Moschusochsen des Dovrefjell

Kürzlich war ich im Herzen Norwegens. Es stehe ein langer Marsch bevor, so begrüßte mich dort Joakim, ein Blondschopf Mitte 20, der als Guide im Dovrefjell arbeitet – jenem Hochplateau, das seine Landsleute schon seit mehr als tausend Jahre in Mythen und Legenden beschäftigt. Allerdings waren ich und die sechs anderen Ausflügler nicht deswegen gekommen, hierher auf den Hof der Kongsvold Fjeldstue. Stattdessen brannten wir, wenngleich wir uns ob Joakims Ankündigung ein Raunen nicht verkneifen konnten, darauf, einen Blick zu erhaschen auf die gegenwärtigen Symbole des Dovrefjells – die mächtigen Moschusochsen.

Am Ende wurde es tatsächlich ein langer Marsch, immerhin bei schönstem Sonnenschein. Und auch abgesehen vom Wetter lohnte es sich, das Kilometerfressen. Nachzulesen ist das auf merian.de, für die ich unsere Suche nach den Moschusochsen hier aufgeschrieben habe.

Für diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer nicht dazu kommen, sich diese natürlich absolut empfehlenswerte Geschichte zu Gemüte zu führen, sei an dieser Stelle auf einen landläufigen Irrtum hingewiesen: Moschusochsen, das sind gar keine Rinder, sondern eigentlich Ziegen. Ich zumindest wusste das vorher nicht. Und da sage noch einer, Wandern bilde nicht. Mäh…