Schlagwort-Archiv: nachhaltigkeit

Fish’n’Ketchup – Wie Aquaponiker die Welternährung umkrempeln wollen

Die Luft in dem Gewächshaus am Berliner Müggelsee riecht feucht und etwas modrig, die Innentemperatur beträgt knapp 26 Grad Celsius. Pumpen brummen, Wasser plätschert, Tomatenstauden ringeln sich in die Höhe. Dazwischen tummeln sich goldrote Fischschwärme in gewaltigen schwarzen Plastikfässern. Es sind Tilapien aus der Familie der Buntbarsche, zappelige Dinger, die jedem, der seine Nase zu neugierig in ihre Becken steckt, eine Dusche verpassen.

Werner Kloas ist einer der Erfinder dieses Tomaten-Barsch-Hauses. Am Leibniz-Institut für Binnenfischerei und Gewässerökologie (IGB) leitet der Zoologe die Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur. Ihn treibt eine große Frage um: Wie lassen sich im Jahr 2050 mehr als 9 Milliarden Menschen ausreichend und ausgewogen ernähren – und zwar ohne die zweifelhaften Methoden der konventionellen Landwirtschaft? „Man wird die bestehenden Anbauflächen kaum erweitern können“, ist der 56-Jährige überzeugt. Kloas‘ Antwort lautet daher: „Wir müssen Kreisläufe schließen.“ Zum Beispiel, indem man Gemüse mit Fischabwässern düngt – das Prinzip Aquaponik.

In der IGB-Pilotanlage des "Tomatenfischs"

In der IGB-Pilotanlage des „Tomatenfischs“ (Quelle: IGB Berlin)

Schon die alten Chinesen machten sich solch kombinierte Fisch-Gemüsezuchten zunutze, indem sie Schmerlen und Karpfen in ihren Reisfeldern hielten. Jahrtausende später schicken sich quer über den Globus Forscher wie Werner Kloas an, die Aquaponik für die Neuzeit fit zu bekommen. Ihr Ziel: Den steigenden Fischbedarf in aller Welt zu decken, und zwar ohne die Umweltfolgen vieler bestehender Aquakulturen. Ihre Lösung: Das Zusammenschalten von kreislaufartigen Fischzuchtanlagen, sogenannten Recirculating Aquaculture Systems (RAS), mit hydroponischen Gemüsekulturen, die nicht in Erde, sondern einer Nährlösung gedeihen – auf dass sich beide in einer Quasi-Symbiose gegenseitig ergänzen, die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt und natürliche Ökosysteme so wenig wie möglich belastet werden.

Wie das im Einzelnen aussieht, welche Verheißungen, aber auch Kniffligkeiten damit verbunden sind und wie Start-Ups und Entrepreneure diese Idee bereits in Form von Dach- und Stadtfarmen in die Praxis holen, habe ich mir für die Mädels und Jungs von Perspective Daily näher angeschaut. Voilá: Fish’n’Ketchup!

Hurra, wir werden erwachsen! – Überlegungen zum Verhältnis von Nachhaltigkeit und Journalismus

„Der Klimawandel ist nicht die Geschichte unserer Zeit“, sagte der Wissenschaftsjournalist Andrew Revkin einmal. „Der Klimawandel ist nur ein Teil von ihr. Sie besteht darin, dass wir anfangen, erwachsen zu werden auf einem endlichen Planeten, und dabei überhaupt erst bemerken, dass er endlich ist.“

Wir. Das meint ihn und sie, Dich und mich. Politik und Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Und natürlich den Journalismus, die Storyteller-Maschine schlechthin. Was bemerkt sie von der Geschichte unserer Zeit?

Die Ausgangsbedingungen scheinen nicht die schlechtesten zu sein: Aktualität, Konflikt, Relevanz, Kontinuität – Klimawandel & Co. erfüllen eine ganze Reihe der klassischen Nachrichtenfaktoren. Weswegen die Erderwärmung, die Energiewende, der Artenverlust, die Krise des Finanzsystems, die Bevölkerungs- und Ernährungsfrage oder auch Konsumkritik und der Wunsch nach Entschleunigung längst Themen des von Print-, Rundfunk- und Online-Medien getragenen Diskurses sind. Reicht das?

Der Journalismus verändert sich rasant. Man könnte sagen, er geht auf eine Reise – Ausgang: ungewiss. (Quelle: Harri Web, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Die Welt und der Journalismus verändern sich rasant. Man könnte sagen, sie gehen auf eine Reise – Ausgang: ungewiss. (Quelle: Harri Web, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Kritiker bemängeln, dass die Geschichte unserer Zeit journalistisch zu sporadisch, zu diffus, zu isoliert, zu unter- oder aber zu überkomplex bearbeitet werde. Das mag daran liegen, dass es ihr an Eindeutigkeit, an Konsonanz, an klaren Verhältnissen mangelt. Und dass ihre Einzelthemen oft nicht als solche erkannt werden, es gewissermaßen an einer gedanklichen Einbettung in den größeren Zusammenhang fehlt.

Dabei ist ein theoretischer Überbau vorhanden, der sie miteinander verbindet: Nachhaltige Entwicklung. Oder auch: Nachhaltigkeit. So wird die Leitlinie unseres „Erwachsenwerdens“ immer wieder etikettiert. Es ist ein ödes Wort und überdies – wen wundert es – in seiner inhaltlichen Bedeutung sowie seiner Wirkungsmacht umstritten. Nicht zuletzt unter Journalisten.

Was unter Nachhaltigkeit verstanden werden kann, und warum sich Medien und Medienmacher dem Thema annehmen sollten – und zwar nicht nur inhaltlich in ihrer Berichterstattung, sondern auch strukturell in ihren Geschäfts- und Vermittlungsmodellen -, das habe ich in einem Gastbeitrag für das ziemlich anregende Projekt Grüner Journalismus der Hochschule Darmstadt aufgeschrieben.

Denn der eingangs zitierte Revkin hat Recht: Das Realisieren der Endlichkeit unserer Welt, das ist die Geschichte unserer Zeit. Es wäre schön, wenn noch mehr, noch fundierter und zugleich noch pointierter erzählt werden könnte, was dies bedeutet – im Großen wie im Kleinen, im Guten wie im Schlechten.

Unsere große Farm – Urbane Landwirtschaft in Berlin

Das Schicksal der Welt entscheide sich in den Städten, so notierte es Fernand Braudel einmal sinngemäß. Was der französische Historiker noch auf den sozialen Alltag im 15. bis 18. Jahrhundert bezog, erscheint heute aktueller denn je: Den UN zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der wachsenden Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, andere Schätzungen taxieren den Anteil sogar auf 80 Prozent.

Die damit verbundenen Herausforderungen sind gewaltig. In der Diskussion, wie Städte sie sinnvoll bewältigen könnten, hat sich etwas herauskristallisiert, das vor wenigen Jahren noch als Domäne der Klein- und Schrebergärtner galt: Die urbane Landwirtschaft. Ihre real existierenden Erscheinungsformen – von der nahezu autarken Gemüseversorgung Havannas über die hektargroßen Gewächshäuser auf New Yorks Dächern bis zu den kooperativen Farmen São Paulos oder Pekings – verschmelzen dabei mit Zukunftsvisionen von Hochhäusern, die als vertikale Farmen neben vegetarischer Kost auch Hühner oder Fisch züchten, zu einem verheißungsvollen Bild: Lebensmittelproduktion in der Stadt könnte Transportwege minimieren, Ernährungssouveränität herstellen sowie ökonomische Werte und Arbeitsplätze schaffen, zudem Blaupause für Stoffkreisläufe sein, die städtische Biodiversität fördern, den Klima- und Wasserhaushalt verbessern und sozialen Gemeinsinn stiften. „Urban Farming“, die eierlegende Wollmilchsau der Nachhaltigkeit?

Hoch(haus)landrinder: Tierhaltung in Marzahn
(Quelle: Agrarbörse Deutschland Ost e.V.)

Berlin ist nicht der schlechteste Ort, um diese Frage zu ergründen – ist die Stadt doch einem für hiesige Verhältnisse rasantem Bevölkerungswachstum unterworfen und zugleich der deutsche Hot Spot, was das städtische Gärtnern moderner Prägung angeht.

Daher habe ich mich hier mal zum Thema umgetan, und herausgekommen ist die aktuelle Titelgeschichte des tip, die neben einer kleinen Bestandsanalyse auch diverse Akteure des Urban Farming Berliner Prägung beleuchtet (Update 8.9.14: einige der Geschichten sind jetzt auch online zu finden). Mit dabei: Die Schafherde der Agrarbörse, der kommende Aquaponik-Bauernhof von ECF Farmsystems, diverse Indoor- und Vertical-Farming-Konzepte und natürlich der Prinzessinnengarten, der nach fünf Jahren eine Art Zwischenbilanz zieht.  Alles sehr aufregend, wie ich ganz unbescheiden finde…

Schillerndes für die Seele – Streuobstwiesen im Raum Lüneburg

Goldparmäne. Geflammter Kardinal. Edelborsdorfer. Solcherlei schillernde Namen sind untrennbar verbunden mit knorrigen Baumstämmen, die zum Beispiel entlang der Landstraßen in der Elbtalaue ihre Äste gen Himmel verdrehen. Die alten Obstalleen der Region in Niedersachsen sind Zeugnis einer Kulturlandschaft, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht: Damals begannen die Bauern – gebeutelt von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs – damit, Wegsäume, Ortsränder und Hofstellen mit Obstbäumen zu bepflanzen. Trotz knapper Ackerflächen sicherten sie so nicht nur die Versorgung mit frischen Früchten, sondern konnten auch den rauen Winden des Nordens trotzen. Einen Teil der Ernte verkauften sie später an Handelsschiffe, die die Ware nach Hamburg oder Berlin lieferten. Ein hübscher Nebenverdienst für viele.

Die Bedeutung der Alleen hier und anderswo in Deutschland ist jedoch nicht allein eine historische: Umweltverbände wie der NABU qualifizieren sie sowie Streuobstwiesen als „Hot Spots der Biodiversität in West- und Mitteleuropa“. Mit insgesamt rund 6.000 bekannten Sorten wie Goldparmäne & Co. beherbergen sie ein wichtiges Genreservoir für die Zukunft des Obstanbaus, zudem ziehen sie unzählige Tiere und Pflanzen an.

Ausschlaggebend hierfür ist der Mensch: Er ist es, der die Alleen und Wiesen anlegt, in lockeren und gemischten Beständen von bis zu 120 Bäumen pro Hektar. Er ist es, der sie veredelt und pflegt, mittels vegetativer Zucht und Astbeschnitt. Und er beschützt sie, indem er sie als Viehweide oder zur Heumahd nutzt und so verhindert, dass sich konkurrierende Sträucher und andere Gehölze breit machen.

Die daraus entstehenden „Savannen“, in denen lichter Wald mit Blumen- und Kräuterwiesen wechselt, sind Lebensraum für etwa 5000 Tier- und Pflanzenarten.

Alte Obstbaumallee bei Bitter
(Quelle: Olaf Anderßon/Lüneburger Streuobstwiesenverein)

Ihre Zukunft ist allerdings ungewiss. Längst haben profitablere Plantagen den Löwenanteil der Obstproduktion für den Massenmarkt übernommen, auch hierzulande – in Monokulturen von 3000 Stück pro Hektar, gepäppelt mit hohem Düngereinsatz sowie mit Pestiziden vor Krankheiten und Unterwuchs geschützt.

Immerhin: Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland noch Bestände von 300.000 bis 500.000 Hektar. Zum Beispiel eben in der Elbtalaue sowie im Lüneburger Raum. Hier arbeiten zahlreiche Menschen in Vereinen, beim Landkreis sowie in Unternehmen daran, die überlieferten Standorte alter Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Zwetschgensorte sowie das Wissen darüber lebendig zu halten.

Wie das genau funktionieren soll und inwiefern es sich für die Menschen im sprichwörtlichen Sinne bezahlt machen könnte, habe ich vor Ort ergründet und für die neue Sonderbeilage „Was zählt“ der Lüneburger Landeszeitung aufgeschrieben. Das gute Stück gibt es auch online, zusammen mit einer Reihe von weiteren Texten, etwa darüber, warum einige Lüneburger ihre Zeit verschenken oder das Reparieren von Elektrogeräten lernen und wie sich Stadt und Wirtschaft auf das Thema Peak Oil vorbereiten. Wohl bekomm’s…

Aufregender als all-inclusive – Die Facetten nachhaltiger Entwicklung

Nachhaltigkeit – das sind 14 Buchstaben in vier Silben, deren Aneinanderreihung dem Sprachgebrauch deutscher Amtsstuben entsprungen scheint. Trotzdem ist der Begriff tief in unseren Alltag eingesickert. Wenn wir beim Einkauf den Tiefkühlseelachs aus der Truhe holen, stammt er aus „nachhaltiger Fischerei“. Es gibt Werbeslogans, die „Natürlich nasch ich nachhaltig“ und „Nachhaltigkeit auf den Punkt gebracht“ lauten, und bei Autoherstellern gehen „technischer Fortschritt und nachhaltiges Handeln“ wie selbstverständlich „Hand in Hand“. Schöne neue Welt.

In Wirklichkeit ist das alles natürlich viel komplizierter. Die schöne neue Welt, sie existiert erst einmal nur in den Verlautbarungen der PR-Abteilungen. Dies jedenfalls durfte ich im vergangenen Jahr im Rahmen des Aufbaustudiengangs „Nachhaltigkeit und Journalismus“ an der Leuphana Professional School Lüneburg erfahren. Es waren inspirierende zwölf Monate, fürwahr. Meine Kommilitonen und mich umtrieb dabei die Frage, wie es seit der „Erfindung“ der Nachhaltigkeit durch den sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz vor genau 300 Jahren um diesen zunehmend omnipräsenten (und dabei oft nervensägenden) Begriff steht. So schrieb etwa 1987 die Brundlandt-Kommission in ihrem Report für die UN, nachhaltige Entwicklung, das sei ein Prozess, der „den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Welche ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Implikationen hat das? Können wir vor diesem Hintergrund einfach weitermachen wie bisher? Und wenn nicht: Welche Ideen und Initiativen gibt es, nachhaltige Entwicklung, diese unserer Meinung nach größte Herausforderung unserer Zeit, zu bewerkstelligen und journalistisch zu begleiten?

Eine unserer vorläufigen Antworten lautet: Nachhaltigkeit und ihre Entwicklung, das ist ein Abenteuer mit reichlich Raum für Fantasie und obendrein ein Weg, sich über „das gute Leben“ und dessen Verwirklichung klar zu werden. Die Blüten, die das bereits treibt und künftig treiben kann, haben wir obendrein dankenswerterweise in einem Nachhaltigkeitsmagazin für die seit dem gestrigen Donnerstag an den Kiosken erhältliche Ausgabe 45 der ZEIT darstellen dürfen.

Neben einer allgemeinen Betrachtung mit dabei:

Alles läuft rund – Wie Cradle-to-Cradle die Wirtschaftswelt neu erfinden will
Wohlfühlzone oder Totholzwüste – Der deutsche Wald
Perlen für die Wandersleut‘ – Geht nachhaltiges und faires Reisen?
Rauch-Zeichen – Wie Klimakompensation das Leben in Kenia verändert
Musik aus der Mülltonne – Das Duo Guaia Guaia
usw.

Wer den Gang zum Pressehändler seines Vertrauens scheut oder aus anderen Gründen kein Exemplar in die Finger bekommt, kann sich das Gute Stück auch als .pdf zu Gemüte führen – und zwar hier. Ich würde mal behaupten: Es lohnt sich!

Schönet Wochenende wünsch ich mit nem Stück der Mülltonnenmusiker…