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„Die Natur vor die Haustür holen“ – Wie das Projekt „Natürlich Hamburg!“ Grünflächenpolitik & -management in Städten verändern will

Im November 2017 trat Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan vor die Presse und sagte:

„Es ist wichtig, in Parks und Grünanlagen richtige Natur zu erleben, nicht nur den kurz gemähten englischen Rasen.“

Und weiter:

„Wir wollen zeigen, dass naturbelassene Bereiche auch in gepflegte Parks passen und spannende Naturerlebnisse bieten.“

Anlass dieser Sätze war die Vorstellung von „Natürlich Hamburg!“, dem ersten Naturschutzgroßprojekt in einer deutschen Großstadt. Mit Unterstützung des Bundesamts für Naturschutz will die Hansestadt in den kommenden Jahren mehr Wildnis auf ihren Grünflächen zulassen und ihre Naturschutzgebiete aufwerten. Mehr noch: Das Projekt soll, wie von Kerstan angedeutet, die Frage bearbeiten, wie Großstädte und ihre Bewohner prinzipiell Stadtgrün begreifen und was nötig ist, um sie naturnäher zu gestalten.

Hamburgs Stadtgrün soll naturnäher werden - so wie hier am Wandsebach Foto:

Hamburgs Stadtgrün soll naturnäher werden – so wie hier am Wandsebach (Quelle & Copyright: BUE/Christoph Siegert)

Das ist nicht unerheblich. So tummeln sich in Städten auf relativ kleiner Fläche zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Sie werden angezogen vom Strukturreichtum und den damit einhergehenden Nischen, nicht zuletzt, weil diese im zunehmend ausgeräumten Umland immer seltener werden. Auch menschliche Stadtbewohner profitieren von einer vitalen und artenreichen Stadtnatur – hilft sie doch bei Luftreinigung und Wasseraufbereitung, puffert sie Temperaturspitzen ab, fördert sie Gesundheit und Erholung und ist obendrein ein sozialer Begegnungsort (s. dazu die Metastudie von Naturkapital Deutschland).

Folgerichtig gerät Stadtnatur immer mehr in den Blick, wenn es darum geht, Herausforderungen wie das Artensterben, die Urbanisierung und die Klimakrise zu meistern. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht: Immer mehr Brachen und verwilderte Baulücken verschwinden infolge der sogenannten „Inneren Verdichtung“. Zwar mag dadurch eine weitere Zersiedelung des Umlands zumindest gedämpft werden. Innerstädisch droht jedoch eine Verödung.

Vor diesem Hintergrund lässt sich „Natürlich Hamburg!“ also nicht nur als  naturschutz-, sondern auch stadtpolitisches Projekt mit Pilotcharakter begreifen, indem es zu beantworten sucht, wie Biodiversität in Städten erhalten sowie langfristig ausgebaut werden kann. Das meint nicht nur Strategien in Stadt- und Freiraumplanung, sondern auch die konkrete Gestaltung sowie das Management öffentlicher Park- und Grünanlagen. Denn gegenwärtig bestehe noch zu häufig ein „Dissens zwischen arten- und biotopschutzorientiertem Naturschutz auf der einen Seite und traditioneller Grünflächenpflege auf der anderen Seite“, so das BfN. Das Projekt solle sich daher nicht zuletzt der Frage widmen, wie dieser Konflikt aufzulösen sowie ganz grundsätzlich eine „gleichberechtigte Integration der Belange des Naturschutzes in die städtebauliche Entwicklung“ sicherzustellen sei.

Bis 2031 hat „Natürlich Hamburg!“ Zeit, entsprechende Antworten zu liefern. Derzeit läuft die Planung, die ab 2022 sukzessive umgesetzt werden soll – an insgesamt 40 Standorten mit einer Gesamtfläche von 6.200 Hektar, zuzüglich vier großer Ausfallstraßen (eine entsprechende Karte findet sich hier). Derzeit sind u.a. folgende Maßnahmen vorgesehen:

  • Anlegen von artenreichen Blumenwiesen
  • Förderung von Wildstauden
  • Sicherung von Altbäumen und Totholz
  • naturnahes Straßenbegleitgrün
  • Renaturierungen und Sanierungen
  • ökologische Aufwertung und besucherfreundliche Gestaltung von Naturschutzgebieten

Weil ich all das sehr spannend finde, habe ich mich kürzlich anlässlich eines Seminars an der Berufsschule 06 Hamburg eingehender mit „Natürlich Hamburg!“ beschäftigt. Dabei ging es neben den Grundzügen des Vorhabens sowie der geplanten Umsetzung auch um eine Einordnung mithilfe unabhängiger Expertenstimmen aus Naturschutz sowie Garten- und Landschaftsbau. Wen es interessiert: Die dabei entstandene Vortragspräsentation findet sich nun hier als PDF.

Fish’n’Ketchup – Wie Aquaponiker die Welternährung umkrempeln wollen

Die Luft in dem Gewächshaus am Berliner Müggelsee riecht feucht und etwas modrig, die Innentemperatur beträgt knapp 26 Grad Celsius. Pumpen brummen, Wasser plätschert, Tomatenstauden ringeln sich in die Höhe. Dazwischen tummeln sich goldrote Fischschwärme in gewaltigen schwarzen Plastikfässern. Es sind Tilapien aus der Familie der Buntbarsche, zappelige Dinger, die jedem, der seine Nase zu neugierig in ihre Becken steckt, eine Dusche verpassen.

Werner Kloas ist einer der Erfinder dieses Tomaten-Barsch-Hauses. Am Leibniz-Institut für Binnenfischerei und Gewässerökologie (IGB) leitet der Zoologe die Abteilung Ökophysiologie und Aquakultur. Ihn treibt eine große Frage um: Wie lassen sich im Jahr 2050 mehr als 9 Milliarden Menschen ausreichend und ausgewogen ernähren – und zwar ohne die zweifelhaften Methoden der konventionellen Landwirtschaft? „Man wird die bestehenden Anbauflächen kaum erweitern können“, ist der 56-Jährige überzeugt. Kloas‘ Antwort lautet daher: „Wir müssen Kreisläufe schließen.“ Zum Beispiel, indem man Gemüse mit Fischabwässern düngt – das Prinzip Aquaponik.

In der IGB-Pilotanlage des "Tomatenfischs"

In der IGB-Pilotanlage des „Tomatenfischs“ (Quelle: IGB Berlin)

Schon die alten Chinesen machten sich solch kombinierte Fisch-Gemüsezuchten zunutze, indem sie Schmerlen und Karpfen in ihren Reisfeldern hielten. Jahrtausende später schicken sich quer über den Globus Forscher wie Werner Kloas an, die Aquaponik für die Neuzeit fit zu bekommen. Ihr Ziel: Den steigenden Fischbedarf in aller Welt zu decken, und zwar ohne die Umweltfolgen vieler bestehender Aquakulturen. Ihre Lösung: Das Zusammenschalten von kreislaufartigen Fischzuchtanlagen, sogenannten Recirculating Aquaculture Systems (RAS), mit hydroponischen Gemüsekulturen, die nicht in Erde, sondern einer Nährlösung gedeihen – auf dass sich beide in einer Quasi-Symbiose gegenseitig ergänzen, die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt und natürliche Ökosysteme so wenig wie möglich belastet werden.

Wie das im Einzelnen aussieht, welche Verheißungen, aber auch Kniffligkeiten damit verbunden sind und wie Start-Ups und Entrepreneure diese Idee bereits in Form von Dach- und Stadtfarmen in die Praxis holen, habe ich mir für die Mädels und Jungs von Perspective Daily näher angeschaut. Voilá: Fish’n’Ketchup!

Waldmeister Berlin – Die multitalentierten Bäume der Hauptstadt

„Hot town, summer in the city
Back of my neck getting dirty and gritty
Been down, isn’t it a pity
Doesn’t seem to be a shadow in the city
All around, people looking half dead
Walking on the sidewalk, hotter than a match head…“

So besangen 1966 The Lovin‘ Spoonful den von der Sommersonne befeuerten Glutofen Stadt. Das New Yorker Quartett fand seine Zuflucht damals in der Nacht, wenn sich der erhitzte Asphalt langsam abkühlt und einzig auf den Tanzflächen der Clubs noch das Feuer lodert.

In Berlin ergeben sich auch schon tagsüber Erfrischungsmöglichkeiten. Denn Berlin ist nicht nur ein Großstadtdschungel. Berlin hat auch einen: Ein Fünftel der Stadt ist mit Wald bedeckt. Zusammen mit seinen Beständen im Umland verfügt Berlin über insgesamt knapp 30.000 Hektar. Das ist eine Größenordnung, die in Europa ihresgleichen sucht.

Der berühmte Berliner Grunewald, "Waldgebiet des Jahres 2015" (Quelle: BDF)

Der berühmte Berliner Grunewald, „Waldgebiet des Jahres 2015
(Quelle: BDF)

Und dieser Wald, er wirkt wie ein riesiger Kühlakku. Mittels Verdunstung, Strahlungsaufnahme und Beschattung. Was längst nicht alles ist: Dank ihrer Reinigungs- und Speicherfähigkeiten kommen rund 80 Prozent des städtischen Trinkwassers aus Berlins Wäldern. Wie Dunstabzugshauben säubern überdies ihre Blätter und Nadeln den Großstadtmief – weswegen Waldluft zum Beispiel bis zu 15 Mal weniger Bakterien enthält als ihr City-Pendant.

In Zeiten von Urbanisierung und Klimawandel geraten derartige, in der Fachwelt oft als „Ökosystemdienstleistungen“ bezeichnete Talente sogar zu einer Gretchenfrage. Längst gelten nicht nur Arbeitsplätze, Kulturangebot oder Wohnraum als Standortvorteile von Städten, sondern auch Grünflächen und Wälder. Nicht zuletzt, weil sie neben ihres eher unsichtbaren Könnens eben auch eine Menge offensichtlicher Lebensqualität bieten: Allein in Berlin verzeichnet der Wald 250 Millionen Besuche pro Jahr, von Spaziergängern, Radfahrern und Naturfreunden.

Das ist eine Menge. Dennoch finden sich abseits der Hot Spots noch immer stille und geheimnisvolle Flecken. Man muss sich nur auf die Suche machen. Erste Hinweise hierzu finden sich im kürzlich erschienen Sonderheft des tip „Sommer in Berlin“, für das ich an einem Feature zum Thema Berliner Wald mitarbeiten durfte. Gibt’s an Kiosken, in Bahnhöfen oder online zu bestellen. Ansonsten finden sich eine Menge Tourenvorschläge auch hier bei den Berliner Forsten.

Insofern: Statt gerösteter Gehirne und durchgebrannter Sicherungen lieber ab in den Wald! Dahin, wo der „shadow“ ist…

Unsere große Farm – Urbane Landwirtschaft in Berlin

Das Schicksal der Welt entscheide sich in den Städten, so notierte es Fernand Braudel einmal sinngemäß. Was der französische Historiker noch auf den sozialen Alltag im 15. bis 18. Jahrhundert bezog, erscheint heute aktueller denn je: Den UN zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der wachsenden Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, andere Schätzungen taxieren den Anteil sogar auf 80 Prozent.

Die damit verbundenen Herausforderungen sind gewaltig. In der Diskussion, wie Städte sie sinnvoll bewältigen könnten, hat sich etwas herauskristallisiert, das vor wenigen Jahren noch als Domäne der Klein- und Schrebergärtner galt: Die urbane Landwirtschaft. Ihre real existierenden Erscheinungsformen – von der nahezu autarken Gemüseversorgung Havannas über die hektargroßen Gewächshäuser auf New Yorks Dächern bis zu den kooperativen Farmen São Paulos oder Pekings – verschmelzen dabei mit Zukunftsvisionen von Hochhäusern, die als vertikale Farmen neben vegetarischer Kost auch Hühner oder Fisch züchten, zu einem verheißungsvollen Bild: Lebensmittelproduktion in der Stadt könnte Transportwege minimieren, Ernährungssouveränität herstellen sowie ökonomische Werte und Arbeitsplätze schaffen, zudem Blaupause für Stoffkreisläufe sein, die städtische Biodiversität fördern, den Klima- und Wasserhaushalt verbessern und sozialen Gemeinsinn stiften. „Urban Farming“, die eierlegende Wollmilchsau der Nachhaltigkeit?

Hoch(haus)landrinder: Tierhaltung in Marzahn
(Quelle: Agrarbörse Deutschland Ost e.V.)

Berlin ist nicht der schlechteste Ort, um diese Frage zu ergründen – ist die Stadt doch einem für hiesige Verhältnisse rasantem Bevölkerungswachstum unterworfen und zugleich der deutsche Hot Spot, was das städtische Gärtnern moderner Prägung angeht.

Daher habe ich mich hier mal zum Thema umgetan, und herausgekommen ist die aktuelle Titelgeschichte des tip, die neben einer kleinen Bestandsanalyse auch diverse Akteure des Urban Farming Berliner Prägung beleuchtet (Update 8.9.14: einige der Geschichten sind jetzt auch online zu finden). Mit dabei: Die Schafherde der Agrarbörse, der kommende Aquaponik-Bauernhof von ECF Farmsystems, diverse Indoor- und Vertical-Farming-Konzepte und natürlich der Prinzessinnengarten, der nach fünf Jahren eine Art Zwischenbilanz zieht.  Alles sehr aufregend, wie ich ganz unbescheiden finde…